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«Die Hörner müssen glühen und die Klarinetten brennen»

«La Scintilla» ist das einzige Barockensemble, das aus und neben einem traditionell

ausgerichteten Opernorchester, der Philharmonia Zürich, besteht. Eine Erfolgsgeschichte auf höchstem Niveau.

««Da dürfen Sie vibrieren. Das wird wie Jazz gespielt, das ist ein Saxofon-Solo der Celli – so mit der Hüfte.» Mit solchen und ähnlich bildhaften Aussprüchen hat er die Musikerinnen und Musiker zum Schmunzeln gebracht, den Orchesterklang zur Klangrede geformt. Gemeint ist natürlich Nikolaus Harnoncourt. Er hat den Funken zum «historisch informierten» Musizieren des Ensembles «La Scintilla» gezündet. Und zwar lange bevor diese inzwischen renommierte Opernorchester-Formation unter ihrem sprechenden heutigen Namen – la scintilla, der Funke – auftrat.


Am Anfang stand Monteverdi

Diese hingebungsvolle und hartnäckige Aufbauarbeit geht zurück bis in die Zeit des legendären Monteverdi-Zyklus Mitte der 1970-Jahre. Der inzwischen pensionierte Fagottist Erich Zimmermann erinnert sich, wie damals eine Liste zirkulierte, in der sich jene Orchestermitglieder eintragen konnten, die sich für die historische Aufführungspraxis und das Spielen «exotischer» Instrumente wie Traversflöte, Chalumeau, Zink und anderen mehr interessierten. Nur zögerlich habe sich die Liste gefüllt – und die neuen «Alttöner» wurden von manchen Kollegen bespöttelt.


Gut zehn Jahre später – aus dem Monteverdi-Ensemble war inzwischen ein Mozart-Orchester geworden – stand dessen «Idomeneo» auf dem Programm. Der neue Klang hatte sich zwar bereits da und dort etabliert, blieb aber weitgehend auf Barock und noch ältere Musik beschränkt. Konzertmeisterin Ada Pesch, die 1990 zum Orchester stiess, spricht von jenen Anfangsjahren denn auch zu Recht als von einer musikalischen Revolution, die ausgehend von den Bläsern – vorab dem Blech – allmählich den ganzen Klangapparat erfasste. Eine Revolution der Klangästhetik, deren Ideal nicht der geglättete Schönklang ist, sondern, wenn es Partitur und Libretto erfordern, durchaus auch gegen den Strich gebürstete Töne miteinschliesst, wie es ein weiteres Dictum von Maestro Harnoncourt unmissverständlich umschreibt: «Sie müssen das reissen; Sie haben doch alle etwas Tigerhaftes in sich.» Oder: «Das muss klingen, wie wenn ein Krake Sie zusammendrückt. Herausgepresst wie aus einer Zahnpastatube kommen Sie da heraus.»

Die legendäre Zürcher Produktion von 1978 stand am Anfang eines musikalischen Abenteuers: «Possente spirto» – Philippe Huttenlocher (Orfeo ) und «La Scintilla», die damals noch nicht so hiess.

«Bei Harnoncourt», sagt Kontrabassist Dieter Lange, «war jede Probe wie eine musikologische Vorlesung. Man erfuhr nicht nur, wie etwas zu spielen war, sondern warum.» Auf Mozart folgte 1994 Händels «Alcina – noch auf modernen Instrumenten, aber ergänzt mit Lauten und Orgelpostitiv.


Aus einem Ensemble wird ein Verein

1996 entschloss sich das bislang noch immer namenlose Spezialisten-Ensemble, einen Verein zu gründen, parallel und unabhängig vom Verein des Orchesters der Zürcher Oper. «Nach den Erfahrungen mit Monteverdi, Händel und Mozart lancierte unter anderen die Soloflötistin Maria Goldschmidt die Idee, nicht nur die Blechbläser in historischer Bauart und Spielweise einzusetzen, sondern das gesamte Instrumentarium», sagt Dieter Lange, der zusammen mit Ada Pesch im Vorstand des Ensembles sitzt. Harnoncourt – an der Arbeit mit seinem «Concentus» gereift – begrüsste das Vorhaben, ermunterte die Pioniere aber erst mal, tüchtig zu üben und sich mit dem Instrumentarium und der Technik vertraut zu machen.So trafen sich denn knapp zwanzig Unentwegte – freiwillig und unentgeltlich – neben den normalen Diensten dreimal die Woche zum intensiven Proben. Mit einem Startkapital von 6000 Franken, gestiftet vom damaligen Verwaltungsrat der Zürcher Oper, wurde der Solist und Dirigent Giuliano Carmignola, schon damals ein Spezialist in Sachen historischer Aufführungspraxis, engagiert und ein erstes Konzert in Stäfa realisiert.

Dieses Konzert war Bestätigung und Ermutigung zugleich, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. «Wir veranstalteten auf eigene Rechnung – und notabene immer neben dem normalen Opernbetrieb! – weitere Workshops mit Koryphäen für alte Musik: mit Eliot Gardiner, mit Nikolaus und Alice Harnoncourt, mit Reinhard Goebel, dem Geiger Erich Höbarth, dem Cellisten Gerhard Darmstadt und anderen mehr – später mit William Christie, Marc Minkowski und Laurence Cummings», erzählt Dieter Lange.

Andere Mensuren, neue Griffe

Und Ada Pesch ergänzt lachend, für sie sei es schon eine echte Überraschung gewesen, dass es auch in bei den Vertretern der historischen Praxis so viele unterschiedliche Schulen und Meinungen darüber gebe, was Sitte und Unsitte oder gar verwerflich sei. «Es war wie eine Entdeckungsreise in ein unbekanntes Land.» Doch sie verschweigt auch nicht, wie anstrengend die Eroberung dieses musikalischen Neulands war. «Als erstes musste ich mir mal das Vibrato abgewöhnen, das ich seit Kindsbeinen trainiert hatte, um es jetzt ganz gezielt als Farbe zu nutzen. Auch die über Jahrzehnte geschulte makellose Egalität von Auf- und Abstrich musste neu definiert und als Ausdrucksmittel eingesetzt werden: Dinge, die man ein Geigerleben lang gemacht hat, die einem in Fleisch und Blut übergegangen sind, plötzlich anders, neu zu machen – das ist ein gewaltiges Stück Arbeit.» Dieter Lange stösst ins gleiche Horn – falls der Ausdruck für einen Kontrabassisten erlaubt ist:«Die Intonation ist unterschiedlich – wir stimmen auf 415, bei Rameaus ‹Les Boréades› sogar auf 392. Wir Streicher sind uns ja einigermassen gewohnt, immer wieder andere Griffe je nach Lage und gewünschter Klangfarbe auszuprobieren und auszuwählen, aber nur schon die ungewohnten Mensuren der Instrumente erfordern mitunter eine Neuorientierung bezüglich Griff- und Bogentechnik. Bei den Holzbläsern, deren Instrumente sich durch die Bohrungen und Klappen von den heutigen massiv unterscheiden, sind natürlich auch die Griffe total anders. Kurz: Der über Jahre eingeübte Automatismus muss überprüft und hinterfragt werden, was dann im Laufe der Zeit auch einige Kollegen zurückschrecken liess, als sie realisierten, dass das Ganze neben dem Vergnügen auch in Arbeit ausartete.»

Der Verein besteht zurzeit aus rund dreissig aktiven Mitgliedern. Wohl werden einzelne Instrumente nach wie vor mit spezialisierten Zuzügern besetzt – so etwa die Theorben und Lauten. Alle übrigen aber – und das ist wohl das Einmalige der «Scintilla» – spielen als reguläre Orchestermusiker das gesamte Opernrepertoire, das bis ins 21. Jahrhundert reicht. Ihr Einsatz richtet sich nach der Verfügbarkeit, die der Spielplan des Hauses diktiert, sowie nach einzelnen Projekten. Einige davon wurden beispielsweise mit Cecilia Bartoli realisiert und führten zu Tourneen durch ganz Europa, Nordamerika und Russland. Neben dem interpretatorischen und technischen Einsatz leisten die «Scintillisten» auch einen grossen Einsatz bezüglich ihrer Instrumente. Alle besitzen neben ihrem Instrument fürs moderne Standardrepertoire mindestens ein weiteres historisches oder ein nach historischem Vorbild gebautes. Dieter Lange beispielsweise hat seinen zweiten historischen Bass, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie viele Instrumente «modernisiert» und für die Bespannung mit Metall eingerichtet wurde, wieder zurückbauen lassen: Stimmstock, Steg, Saitenhalter wurden gemäss Originalen ersetzt; Darmsaiten aufgezogen, von denen nur die tiefe E-Saite mit einem feinen Silberfaden umsponnenen ist. Konzertmeisterin Ada Pesch besitzt ein seltene Barockgeige im Originalzustand.

Neben spieltechnischen Fragen befasst man sich in den Workshops, die bis heute fortdauern, auch mit der sogenannten Affektenlehre, der emotionalen Bedeutung der Tonarten, der ungleich schwebenden Stimmung, dem schier endlosen Bereich der Verzierungstechnik, der musikalischen Rhetorik – Aspekte, die den damaligen Musikern vertraut waren und den heutigen erst wieder zugänglich gemacht werden müssen. Dazu Ada Pesch: «Ich bin überzeugt, dass künftig das Nebeneinander von historisch informierter und moderner Aufführungspraxis Usus sein wird. Zum Glück! Die beiden Bereiche gehören heute schon fast zur Grundausbildung. Natürlich wird es immer absolute Top-Spezialisten für alte Musik geben. Aber ich denke, es befruchtet auch unsere Interpretation des sogenannt modernen Repertoires.»


Jedenfalls darf man dem Funken «La Scintilla» weiterhin eine strahlende Zukunft voraussagen, Auftritte, in denen die «Hörner glühen und die Klarinetten brennen.» – man ahnt, wer das gesagt hat, nicht wahr?


Opernhaus Zürich: La Scintilla, Spezialisten-Ensemble für authentischen Klang.




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