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An der schönen, blauen ... Limmat

Was Wien recht ist, ist Zürich billig: ein Neujahrskonzert. Allerdings nicht am Morgen des 1. Jänners, sondern am Berchtoldstag – man ist sich wohl bewusst, dass am Neujahrsmorgen die halbe Welt am Fernsehapparat klebt und kaum in die Tonhalle Zürich zu locken wäre.

Musikalische Gastgeber waren die Zürcher Symphoniker, die 1981, damals unter dem Namen Symphonieorchester Zürich (SOZ), gegründet wurden und somit letztes Jahr ihr 40jähriges Bestehen feiern konnten. Allein die Tatsache, dass neben dem Tonhalle-Orchester und der Philharmonia Zürich eine weitere symphonisches Formation Bestand hat, ist löblich. Allerdings wurden diese vier Jahrzehnte von einer wechselvollen Geschichte mit allerhand Misstönen und überdurchschnittlich vielen Dirigentenwechseln geprägt. Für den aktuellen Auftritt, auf dem Programmfolder etwas unbedarft als «Brillantes Neujahrskonzert» betitelt, stand der 43jährige Kevin Griffiths am Dirigentenpult.


Den Auftakt machte Edvard Griegs erste «Peer Gynt»-Suite, op. 65. Der Komponist hatte sie 1888 aus seiner grossangelegten Schauspielmusik (26 Nummern, fünf Stunden Spieldauer!) zum epischen Gedicht seines Landsmanns Henrik Ibsen zusammengestellt, um die Musik bzw. Teile derselben – später in einer zweiten Suite weitere vier Stücke – ausserhalb der Bühne und ausserhalb Norwegens bekannt zu machen. Die Rechnung ging auf. Offenbar nur zu sehr! Denn zum Leidwesen des Komponisten wurden diese Musiken in der Folge als Soundtrack für alle möglichen und unmöglichen Belange missbraucht und umorchestriert.

Musikalische Geschichte erzählen

Dessen ungeachtet ist und bleibt die im Fünftonbereich auf- und absteigende Melodie, welche die «Morgenstimmung» eröffnet, eines der stimmungsvollsten Flötensoli der Romantik. Griffith jun. nahm die Musik sozusagen beim Wort und ging den Klang mit eleganten und fliessenden Bewegung ganz behutsam an, gleichsam ein allmähliches Erwachen, das zunehmend an Farbe und Glanz gewinnt. In der anschliessenden Trauermusik zu Åses Tod verdüsterte sich der Klang, blieb aber trotz opaker Färbung transparent und mit schönem Zug nach vorn. Leicht wurden die Pizzicati im exotischen Tanz der verführerischen Antira hingetupft. Äusserst bildhaft gestaltete Griffith schliesslich das vorsichtige Eindringen in die «Halle des Bergkönigs» nach dem geheimnisvollen Akkord der Hörner mit dem delikaten Pizzicato der Celli und Fagotte. Schon ahnte man da und dort einen Troll vorüberhuschen, doch dann liess es der Dirigent krachen und knallen, wahrte aber trotz des zunehmend dominierenden Blechs und Schlagwerks die Balance zwischen den einzelnen Stimmen; das Orchester folgt ihm mit einer Spielfreude und Energie, die minimale koordinatorische Ungenauigkeiten vergessen liessen.


Das Zentrum des Abends bildete Griegs einziges Klavierkonzert, a-Moll, op. 16, entstanden 1868. Mit diesem Wurf begründete der damals gerade mal 25jährige Komponisten seinen Weltruf, zumal kein Geringer als Franz Liszt das Konzert zwei Jahre später in Rom – der Überlieferung nach vom Blatt! – spielte und in den höchsten Tönen lobte. Allerdings gab es auch Stimmen, die seine Nähe zu Schumanns Konzert in der nämlichen Tonart monierten. (Nicht zufällig wird das Konzert in CD-Einspielungen oft mit dem schumannschen Opus 54 kombiniert.) Kritisiert wurde vor allem der Anfang, der auf ein orchestrales Vorstellen des Themas verzichtet, sondern mit einer effektvollen Geste des Solisten einsetzt. Bei Schumann ist es ein Orchesterschlag, bei Grieg ein Paukenwirbel, der das Klavier auf den Plan ruft, das sich furios in eine Folge von fallenden Akkorden stürzt, bis das Orchester einsetzt und sich das ebenfalls an Schumann gemahnende Hauptthema etabliert.


Ein Anfang, der wie exakt für die junge Pianistin Claire Huangci, Preisträgerin 2018 beim Concours Géza-Anda, komponiert scheint. Im weissen Kostüm schwebte sie elfengleich an den schwarzen Steinway und ... machte staunen. Unglaublich, welche Kraft und Energie in dieser feingliedrigen Person steckt, und man staunte noch mehr, als man dem Programmzettel entnahm, dass sie das Konzert zum dritten Mal am selben Tag spielte.


Doch abgesehen von dieser physischen Leistung, wusste die Solistin auch musikalisch zu überzeugen: Brillant vereinte sie ungestüme Attacke mit bravouröser Eleganz. Ihre Interpretation zielte eher auf eine von juveniler Energie und Virtuosität geprägte Extravertiertheit als auf tiefgründige Innigkeit. Dennoch gelangen gerade im zweiten Satz, dem Des-Dur-Adagio, empfindsame, poetische Momente, als sie die arpeggierten Arabesken über den sordinierten Orchesterteppich mit flexibler Agogik fortspann. Mit packendem Zugriff und Spielwitz stürzte sie sich ins anschliessende Allegro. Hier hätte man sich das Wechselspiel des tänzerischen Schlagabtausches zwischen Solistin und Orchesterkollektiv etwas pointierter, pikanter, etwas stärker aufeinander bezogen gewünscht. Jedenfalls führte der fulminante Klangrausch der strahlenden Coda zielsicher zum begeisterten und verdienten Applaus.


Als hätte sie überschüssige Energie, setzte sich die Künstlerin erneut ans Klavier: nicht für eine kurze Zugabe, sondern für einen weiteren, jedoch nicht unbedingt zwingenden Programmpunkt, nämlich einige Sätze aus Tschaikowskis «Nussknacker»-Ballett in der Klavierbearbeitung von Mikhail Pletnev. Auch hier wiederum nach aussen gerichteter Attitüde, reizvoll verspielt etwa im «Tanz der Zuckerfee» oder mit silbrigem Spieldosendiskant im «Chinesisches Tanz». Den «Blumenwalzer» dagegen hätte man sich hingebungsvoller verträumter vorstellen können.

© Bilder Priska Ketterer

Doch was wäre ein Neujahrskonzert ohne Strauss, und zwar gleich in dynastischem Aufmarsch? Geschickt hatte man vor allem Schnellpolkas ausgewählt, die dem Orchester nochmals Gelegenheit boten, sich mit ansteckender Spiellaune zu präsentieren. Ein hübscher klanglicher – und optischer! – Einfall bot die Polka «Feuerfest», das Auftragswerk eines Wiener Tresorfabrikanten, zu welcher der Perkussionist, ausgerüstet mit Schürze, Handschuhen und Hammer, zwei Eisenklötze bearbeitete.


Und schliesslich der unvermeidliche Donau-Walzer! – Nicht die geheimnisvoll verschattete Introduktion, nicht der gerundete Samtklang, die unnachahmliche Verzögerung der zweiten Zählzeit à la viennoise, die man tags zuvor am Bildschirm unter Barenboim gehört hatte; die Zürcher Symphoniker liessen ihre Donau zügig, frisch, mit lichtem Klangbild und ausgeprägter Musikzierfreude fliessen.


Zum Finale dann den ebenfalls unvermeidlichen Radetzky-Marsch mit der obligaten Publikumsbeteiligung. Diesbezüglich wäre zwar noch Steigerungspotenzial vorhanden gewesen, was der guten Laune – auf dem Podium wie im Saal – jedoch nicht den geringsten Abbruch tat.




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