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Brunnengeschichten (Teil I)

«Wenn alle Brünnlein fliessen, so muss man trinken» – so der Anfang eines Liebeslieds aus dem 16. Jahrhundert. Fliessendes Wasser – ob Brunnen, Quelle oder Bach – ist unter anderem ein vielgebrauchtes Symbol für Gefühle, vorab die Liebe. Allein im schubertschen Liedschatz, aber auch in unzähligen Volksliedern und Gedichten strömt und sprudelt und rauscht es – mal leise, mal sehnsuchtsvoll, mal drängend. Mitunter taucht gar ein «feuchtes Weib», eine verführerische Undine, aus dem kühlen Nass; dann ist’s «um ihn gescheh’n...»

Allerdings: Im zwinglianischen Zürich sollen derlei Vorkommnisse bislang noch nie aktenkundig geworden sein. Und das, obwohl es hinreichend Möglichkeiten dafür gäbe, denn die Limmatstadt ist tatsächlich eine der brunnenreichsten Städte weltweit. Andererseits müssen wir zugeben, dass Zürichs Brunnen nicht so berühmt sind wie diejenigen Roms. Weder Anita Ekbergs nächtliches Bad in der Fontana di Trevi («La dolce vita»,1960) noch Ottorino Respighis symphonische Huldigung an die «Fontane di Roma», komponiert 1916, verschafften ihnen cineastischen oder musikalischen Ruhm. Selbst C. F. Meyer, immerhin ein Hiesiger, ortete den aufsteigenden Strahl über der Marmorschale Rund in seinem berühmten Gedicht nicht in einem Zürcher Brunnen; seine Inspirationsquelle war eine Fontäne im Park der Villa Borghese. Doch selbst unvertont, ungefilmt und ohne dichterische Weihen sprudelt und strömt's in der Limmatstadt aus ungezählten Röhren, flutet und wallt's in vielgestaltige Becken, Tröge und Bassins.

Trinkwasser – trink Wasser!

Dazu erfährt man von der städtischen Wasserversorgung – sie ist Teil des Departements «Industrielle Betriebe» wie Strom und Verkehr –, dass am 1. Januar 2022 auf öffentlichem Grund exakt 1281 Bunnen und Wasserspiele registriert waren, die zusammen pro Minute rund 4000 Liter Wasser spenden. Die Anzahl variiert, weil Brunnen bisweilen wegen einer Baustelle abgetragen und zwischengelagert werden, bis ein neuer Standort gefunden ist. Gewartet und gereinigt werden sie regelmässig von acht Brunnenwarten; man möchte gar nicht wissen, was die mitunter alles aus den Trögen fischen... Gespeist werden die meisten Brunnen wie die Haushalte aus einer Mischung von See- und Grundwasser und Wasser aus Quellen auf Stadtgebiet oder im Sihl- und im Lorzetal.

Rund 400 von ihnen sind dem separaten Zürcher Quellwassernetz angeschlossen. Knapp ein Viertel davon sind als sogenannte Notwasserbrunnen konzipiert. Das bedeutet, dass sie in einem gesonderten Netz zusammengefasst sind. Dieser einheitliche Bronze-Brunnen, optisch zwischen einem Benzinfass und einem Papierkorb anzusiedeln, wurde 1974 vom Gestalter Alfred Aebersold entworfen. Bei Bedarf kann eine Zapfröhre mit mehreren Hähnen angeschlossen werden, um einen Tagesbedarf von fünf Litern pro Kopf sicherzustellen. Fast alle Zürcher Brunnen spenden Trinkwasser, lediglich die Fontänen und Sprudel mitten in Bassins funktionieren in der Regel durch Umwälzung. In diesem Fall steht daneben oft ein kleiner Brunnen mit frischem Trinkwasser.


Sprudelnde Zeugen der Zeit

Brunnen sind jedoch weit mehr als Durstlöscher: Vor Zeiten waren sie Treffpunkt für den Austausch von Neuigkeiten beim täglichen Wasserholen, dienten als Orte der Geselligkeit und, wie im eingangs zitierten Lied, zum Karisieren – das Flirten an der Bar ist mitnichten eine moderne Erfindung! Natürlich gehörte auch auf jeden Marktplatz ein Brunnen. In feudalen Lustgärten und Parkanlagen schufen ingeniös angelegte Brunnenanlagen mit ihren Wasserspielen Oasen für Tandaradei und andere Lustbarkeiten. Noch früher waren Quellen und Borne mythische Stätten, einige lieferten gar heilende Wasser. Heute setzen sie erquickende Akzente ins Stadtbild, bereichern Plätze, Höfe und Parks. Ob historisch oder modern, sie erzählen Geschichten; sie haben sich vom Wasserlieferanten zur Gedenkstätte, zum Kunstwerk gewandelt. Vor allem sind sie, was Gestaltung, Platzierung, Grösse und Material betrifft, sprechende oder besser: sprudelnde Zeugen der Zeit, der sie entstammen. Haben Sie Lust, ihrem Raunen und Plätschern zuzuhören?

© Roland Fischer – Wikimedia commons


Im puritanischen Zürich sind imposante Brunnenanlagen eher selten. Einen Spritzer neobarocker Grösse entwickelt eigentlich nur gerade der Alfred-Escher-Brunnen vor dem Bahnhofportal, touristisches Fotosujet, sofern nicht eine hektische Tramklingel das Vorhaben vereitelt. Trotz des Unwillens der Arbeiterschaft wurde der Eisenbahnpionier und Bankengründer in bronzener Gestalt von Richard Kissling, dem Schöpfer des Altdorfer Telldenkmals, 1889 auf den Sockel gehievt. Man drohte, den «neuen Gessler» vom Podest zu sprengen. Zwar steht der gründerzeitliche Finanz- und Machtpolitiker noch immer da, mit der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte, wo auch die Eschers eine nicht durchwegs rühmliche Rolle spielten, wird das Monument jedoch erneut in Frage gestellt. Allerdings haben auch die Zeit und der Zürcher Geist hinlänglich dafür gesorgt, dass die monumentale Wirkung recht bescheiden bleibt: Im Zeichen der Umgestaltung des Verkehrsknotenpunkts wurde das Granitbecken verkleinert. Auto und Tram bedrängen den Tycoon von hinten und vorn, Tauben bekleckern sein Haupt von oben, Elektrodrähte sirren rundherum... Und der emporgereckte bronzene Lorbeerkranz bleibt auf halber Höhe stecken.


@Julia Hottingen – Wikimedia commons

Heilige und Heroen

Auch Heilige und Märtyrer auf Brunnensäulen sind im protestantischen Zürich kaum anzutreffen. Immerhin: Beim Treppenaufgang zum Hochbauamt begegnet man den Stadtheiligen, Felix, Regula und ihrem Diener Häxebränz (Exuperantius), alle drei «kopflos» – honni soit qui mal y pense...


Biblisches findet sich am Anfang der Bahnhofstrasse: Der monumentale Brunnen aus weissem Marmor zeigt Rebekka, die dem Knecht Abrahams einen Trunk reicht, als er für dessen Sohn Isaak auf Brautschau ist. Sie nimmt die Werbung an und wird (mit 60 Jahren!) Mutter der Zwillinge Esau und Jakob – richtig: die bekannte Geschichte mit dem Linsengericht. Unbekannt dagegen ist, dass der sakrale Reliefbrunnen 1880 eigentlich für ein Familien-Grabmal geschaffen und vom Erben der Stadt vermacht wurde: Brunnen, Kunstwerk, Gedenkstätte und Grabmal – mitten im pulsierenden Stadtleben!

Im Gebiet der Altstadt stammen die meisten der sechs- oder achteckigen Sandsteinbecken mit oft kunstvoll verziertem Stud – so nennt man die barocken Brunnensäulen – und oft mit mehreren schmiedeeisernen Röhren aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Nach den mittelalterlichen, dunklen Sodbrunnen bringen diese urbanen Brunnen das glitzernde Nass unmittelbar ans Licht und verbinden so Zweck und Zier. In den umliegenden Gemeinden, den später eingemeindeten Quartieren, etwa In Höngg, Albisrieden oder Altstetten, stehen auch Brunnen ländlicher Bauart: Klassische Dorfbrunnen mit langgestrecktem Trog und manchmal einem zweitem Überlauftrog, einem sogenannten Sudeltrog, wo Wäsche gewaschen und Geräte gereinigt wurden, währenddem das Wasser im oberen Becken sauber blieb für Mensch und Vieh.

© Katja Hottingen – Wikimedia commons


Ein Prachtsexemplar eines typischen Stadtbrunnens ist der Samson-Brunnen: Der biblische Haudegen in römischer (!) Rüstung macht eben einem Löwen mit brachialer Gewalt den Garaus, und zwar, nach mehrmaliger Umplatzierung, am Alten Fischmarkt am Limmatquai. Im sechsseitigen Wassertrog seien jeweils die Kasten mit dem Fischfang kühl gehalten worden. Geschaffen hat die Skulptur um 1550 ein gewisser Motschon aus Trient, der, nachdem er sich schon mit Heinrich Bullinger angelegt hatte, 1559 in Luzern als Ketzer enthauptet wurde.


Ansonsten, wie gesagt, sind es mehrheitlich profane Sujets, die unsere Brunnen zieren. Heiligenfiguren ersetzt man lieber durch allegorisches Personal, wie die Temperentia am Münzplatz. Oder man hält sich an die im Brunnendienst bestens etablierten antiken Olympier: Muskelprotz Herkules am unteren Rennweg. Bogenschützin Diana im Enge-Quartier. Ein seltsam verrenkter Orpheus bei der Kirche Fluntern. Göttermutter Juno mit Pfau am Paradeplatz. Oder jene namenlose Schöne mit strammen Waden unter dem geschürzten Chiton; der entblösste linke Busen, der Köcher mit den Pfeilen weist auf eine streitbare Amazone hin. Dieser Röhren- oder Laufbrunnen ist der Älteste; auf dem murerischen Stadtplan von 1576 ist er bereits zu sehen, doch dürfte er schon um 1430 oben am Rennweg geplätschert haben. Anders als seine gigantischen Kollegen in Florenz und Bologna, besetzt der Schirmherr aller Brunnen, ein kleiner Neptun samt mickrigem Dreizack und Rauschebart mit echt zürcherischem Understatement, «nur» einen versteckten Wandbrunnen von 1770 beim Hotel Florhof. Und ausgerechnet die Statue seines Bruders, des Göttervaters Jupiter, entstanden um 1750, fiel 1987 einem Vandalenakt zum Opfer. Seither besetzt eine geschwür-artige, ziemlich bedrohliche Plastik den Brunnen am Neumarkt, der nun zu Ehren der Siegesgöttin Nike-Brunnen heisst. Warum, ist nicht ersichtlich, eine Ähnlichkeit mit dem bekannten Laufschuh ist jedenfalls nicht zu erkennen...

Der einzige farbige Brunnen der Stadt ist derjenige an der Stüssihofstatt von 1575, auf dessen Säule ein grimmiger, bärtiger Ritter mit Brustpanzer, Topfhelm samt Federbuch sowie Schwert und Standarte steht. Zudem ist es der Einzige, der – also doch noch! – zu literarischen Ehren gelangte. Im «Grünen Heinrich» schildert Gottfried Keller das Rauschen der Limmat und des Brunnens, allerdings ohne diesen zu benennen: «Das einzige Geräusch kam noch vom grossen Stadtbrunnen, dessen vier Röhren man durch den Flussgang hindurch glaubte rauschen zu hören; die vier Strahlen glänzten hell, ebenso was an dem steinernen Brunnenritter vergoldet war, sein Schwertknauf und sein Brustharnisch, welch letzterer die Morgensonne recht eigentlich auffing, zusammenfasste und sein funkelndes Gold wunderbar aus der dunkelgrünen Tiefe des Stromes herauf widerscheinen liess.»


Typisch für die Zeit um 1900 sind die sogenannten Obelisken-Brunnen, die in unterschiedlicher Ausprägung, aber immer nach dem gleichen Muster – obeliskförmiger Stud mit vorgesetzter Brunnenschale – an vielen Orten der Stadt zu sehen sind, praktischen Nutzen mit grossstädtischer Eleganz verbindend. Die Form dieser sich nach oben verjüngenden Stele, eigentlich eine sehr schlanke Pyramide, bietet sich als ideale Brunnensäule an. Schon in der Renaissance waren Obelisken – «Spiess» im Griechischen, «Himmelsspalter» bei den Ägyptern – ein beliebtes Gestaltungelement, nicht selten auch als mystische Verbindung der physischen mit der metaphysischen Welt verstanden. Das 19. Jahrhundert hatte eine wohl eher dekorativ motivierte Vorliebe für Obelisken, die nicht nur in der Gartengestaltung und auf Friedhöfen als Blickfang eingesetzt wurden; besonders in den Gründerjahren mit ihrem Flair für Stilzitate platzierte man kleine Obelisken aus Mamor gern als Nippes auf Cheminéesimsen und Kommoden. Und eben immer wieder als stilvolle, und doch nicht zu protzige Brunnen.

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