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Joachim und seine Bande

Was! – Sie kennen Werner Hans Albini nicht? Albini, den begnadeten, ja man darf sagen magisch-mysteriösen Installationskünstler, der aus Müll Kunstmüll – oder Müllkunst – macht. Der Künstler selbst bleibt zwar unsichtbar wie alle grossen Magier. Oder wie das oft der Fall ist in Joachim Rittmeyers Programmen, wo häufig Abwesende glänzen, Zu-spät-oder-gar-nicht-Kommende «auftreten» (in Rittmeyers Dunstkreis hat das Paradoxon durchaus seine Richtigkeit). In Programmen, deren roter Faden, gezwirnt aus Abschweifungen und Auslassungen, Umschiffungen und Umwegen, permanent die Farbe und die Laufrichtung wechselt. Mitunter werden sogar ganze Programme vermasselt, weil sich irgendein Tier im Saal versteckt. Weil sich lange keiner traut, das letzte «Bleibsel» von der Konfekt-Platte zu schnappen. Weil Bauer Zemp im komatösen Tiefschlaf liegt und partout nicht wach werden will. Weil eine technische Panne den Video-Auftritt des Special-Guest platzen lässt. Weil sich nach den Vorbereitungen auf der Bühne die angekündigte Live-Perfomance des Stars elegant von selbst erledigt hat. Oder, schlimmer noch, weil der Kabarettist bereits verstorben und nur noch per Band zu hören ist. Weil, weil, weil...

Pet as pet can – Symphonie microacoustique


Jetzt also der jüngste Streich – Uraufführung im Zürcher Hechtplatz-Theater – des Doyens der helvetischen Kleinkunstszene. Des einstigen Dienstverweigerers. Des Ex-Lehrers. Und des immer noch St. Gallers, den es nach Basel verschlagen hat, weil er dort seinem geliebten Jura viel näher ist.


Pannen, Patschen, Pet

Das Programm beginnt, wen wundert’s, mit einer Panne: Wir sind schon da! Sitzen erwartungsfroh im rot-schwarzen Theatersaal. Der Vorhang öffnet sich. Die Bühne ist (fast) leer. Ein weisser Staubsauger-Roboter zuckelt selbstvergessen vor sich hin... Links ein Steller mit Affiche, auf der zu W. H. Albinis Kunstinstallation geladen wird, die offenbar noch ihrer Installation harrt. Und wer, ach wer muss nun diese Situation ausbaden? Genau: Hanspeter Brauchle! Der dünnhäutige Querdenker im nicht ganz modischen, vergilbten Pulli. Der mit dem Fettnäpfchen-Blick. Brauchle, der das Schlamassel förmlich anzieht: «Scho Lüüt?! – Wer hät dänn die ieglah?»

Doch jetzt gibt er sich einen Ruck, wir dürfen bleiben, auch wenn er jetzt halt noch den Aufbau besorgen muss. Und wie gewohnt, hat man ihm wieder mal zu wenig An- und Vorgaben geliefert. Zum Glück ist da der smarte Freigeist Theo Metzler zur Hand; man hört seine easy Schwadronage bereits aus dem Off, als Brauchle ihn holen geht.


Metzler hat sich in jüngster Zeit zum Hobby gemacht, Gebrauchsweisungen und Bedienungsanleitungen, launisch gereimt und mit Musik unterlegt, zu kreieren – und nach einer solchen hat Brauchle versucht, die Bühne herzurichten, mit effizientem Leerlauf. Dass solche Anweisungen ganz grundsätzlich bös daneben gehen können, hat der gute Brauchle unlängst erfahren müssen. Als er im Baumarkt einen heiteren Berieselungs-Sound als akustischen Gruss für den sterbenskranken Kollegen Richi aufnahm, realisierte er nicht, dass das Lied von einer Anleitung zum Tapetenwechsel überdeckt wurde; Richis Witwe Helen war entsprechend not amused...

Jetzt also übernimmt der allzeit souveräne Theo mit der schwarzen Intello-Brille, und er toppt die Seuche der Anleitungen eloquent mit der Pest der Korrekturprogramme, wie sie jeder SMS-Schreiber kennt und hasst. Und die aus banalen Botschaften enigmatische Elaborate der Littérature potentielle machen: Aus «D’Türke säged, s’gäbi Schnee» wird «D’Türklinke chläbed wägem Gelée», bis man endlich landet bei: «D’Schtüüre sinked no, wirsch gseh...»


Rittmeyer ist kein Kabarettist, der die grosse Politik und das Weltgeschehen aufs Korn nimmt. Sein Thema sind die Aussetzer, Fehlzündungen und Irrläufer im Alltag, in der Kommunikation, in der Gesellschaft schlechthin. So legt er den Finger gekonnt, sprachmächtig und präzis auf die kleinen, unsinnigen Dinge, die unser Leben bestimmen, die uns Entlastung schaffen sollen und gleichzeitig in den Wahnsinn treiben.

Der Kluge speist im Zuge

Nach einer letzten, von wimmernden Örgeliklängen begleiteten Sprachpirouette Metzlers übernimmt wieder Brauchle, denn der Staubsauger tourt immer noch über die Bühne. Er scheint unermüdlich, sein Akku ist voll geladen. Und das kam so: Die SBB hat zwar die Zahl der Speisewagen massiv reduziert, aber speisen kann man allemal. Einspeisen, um genau zu sein. So ist der findige Brauchle mit seinen Elektro-Domestiken – Zahnbürste, Handstaubsauger usw. – nach Chur gereist, um sie an den diversen Steckdosen im Zug zu laden. Was er da erlebt und zu hören bekommt, ist ein Feuerwerk, ein elektrisches natürlich, an Abstrusem – echter Rittmeyer – äh, pardon: Brauchle at his best. Auch die Episode mit dem Kraftort, die ihn, Brauchle, zum Open Day eines Fitnesscenters führt. ist strapaziös fürs Zwerchfell, wird er doch dort genötigt, die Rudermaschine zu testen, die gleichzeitig den Strom für die Beleuchtung der Weihnachts-Deko generiert. Der eher Unsportliche verausgabt sich derart, dass die Sache mit einem Knockout endet – herrlich, und ganz nach dem Motto: Probleme gibt’s immer, man muss nur wollen.


Wo Rittmeyer drauf steht, steckt (meistens) auch Jovan drin. Nabo, Jovan mit dem Foulard und dem dicken Siegelring. Jovan mit dem melodischen slawischen Singsang. Der kann sich durchaus, wie weiland Cés Kaiser, über die Eigentümlichkeiten der Wortbetonung im Deutschen ausbreiten, was zu den albernsten Lautgebilden führt. Jedenfalls rät er: Nie mittlere Silbe betonen, wie man sich auch nicht dreist dominant in Mitte von Parkbank setzt. Aber auch nicht ganz an Ende; wird als unziemliche Kontaktsuche interpretiert. Am besten leicht neben Mitte... Da muss man erst mal draufkommen. Nabo ist übrigens Nischenmusiker. Er vertont Gebrauchsanweisungen, zum Beispiel die von Metzler, oder Werbespots. Sein Instrument ist das Vibraphon – für Good-Feeling-Momente, wie er sagt. Einmal hat der Vielseitige auch Kinderlieder aus seiner Heimat übersetzt – etwas langfädige, vibraphonisch untermalte Analysen über die Essbarkeit des Pfifferlings, was uns nicht allzu sehr schert.

Umso anschaulicher dagegen schildert er später seine Erfahrung als Leiter des Sängerbunds Agglo, der sich mit dem gängigen Repertoire von Naturlyrik, Arbeiterliedern oder Liturgischem nicht anfreunden konnte noch wollte. Also hat er für diese Sänger-Bande eigens den Pharma-Beipackzettel vertont: «Dies ist ein zugelassenes... » Alles mit elaboriertem Kontrapunkt, Fugato und Cantus firmus. Man stehe knapp vor der Konzertreife, Knackpunkt sei aber noch die Diktion der Lingua metastasis «Fra-fra-fra… Sie-sie-sie… Ap-ap-ap... o-o-o… the-the-the... ker-ker-ker…»


Neu in diesem Triumvirat ist Armin Holz, ein toller Hecht mit weisser Krawatte (und wahrscheinlich weniger weisser Weste) und – auch das ein Novum – zur Abwechslung einer mit echter Züri Schnurre. Dieser Selfmade-Man präsentiert uns eine geniale Erfindung – vielleicht geht schon der ingeniöse Kassen-Rollband-Trennstab auf sein Konto? –, nämlich eine zum Werbe-Banner umfunktionierte Velo-Distanzkelle. Auf diese glanzvolle Idee hat ihn seine Lagerhalle in Dietikon, voll dieser orangen Dinger, gebracht, mit denen er leider nicht das erhoffte Geschäft machen konnte. Nicht einmal in China! Denn der Velofahrer an sich ist ein irrationales Wesen: Ein Plastikteil am High-Tech-Fahrrad – Nie! Lieber Opfer sein. Jetzt also hat der Gewiefte seine Kellen mit einer Holzkugel intarsiert – Objekt aus jenen Holzkugel-Rückenmassage-Matten, von denen er eine weitere Lagerhalle voll in Dietikon stehen hat. – Der Erfolg lässt noch auf sich warten … sogar Albini duldet das Ding nicht im Umfeld seiner Kunst.

Archaische Geräusche

Nach Metzlers tiefsinnigem, hochphilosophischem Exkurs über einen Rollmeter in seiner neuen Rolle als Standmeter, standhaft seinem inneren Zug nach dem Zurück widerstehend – ach Meter, ach Mensch! –, erfolgt endlich die mit Spannung erwartete Installation der Kunstinstallation. Es handelt sich dabei um eine Batterie von Pet-Flaschen – gewissermassen eine Fortsetzung jener vielbeachteten Studie über knisternde Korbstühle («Lauter Knistern» 2015), die Metzler damals beinahe den Nobelpreis eingetragen hatte. Statt ihr archaisches Knacken, wenn wir sie jeweils vor dem Einwurf zusammenquetschen, in den düstern Abgründen eines Containers nutzlos verhallen zu lassen, gebührt den Flaschen hier ein ehrenvoller Auftritt, wenn auch im akustischen Mikrobereich. Und auch wenn der Brauchle findet, er würde sowas nicht bei sich zu Hause aufstellen – wegen dem fehlenden Platz, aber auch sonst... So balanciert, jongliert und manövriert sich Joachim Rittmeyer mit grossartigem Understatement um und über die schwarzen Löcher des Alltags. Ein Plädoyer für die Zweckfreiheit, die Ambivalenz aller Dinge, den Blick auf das vermeintlich Unwichtige. Und einmal mehr ein wunderbares Programm, wie die Pet-Flaschen im humoristischen Mikrobereich, der aber umso länger nachknistert und -knackt. Und zum Schluss, sozusagen als Bonus, der eigentlich ihm, der uns erneut zwei reiche Stunden geschenkt hat, und nicht uns gebührte, greift Metzler nochmals zu seinem Quetschkommödchen und beschert uns eine pointierte Neufassung des Schweizerpsalms – ab sofort ins Pflichtprogramm aller Männer- und sonstiger Chöre aufzunehmen. Auch des Sängerbunds Agglo!


Merke: «Knackwerk», heisst das neue Programm, und nach Zürich erfolgt eine Tournee durch die Deutschschweiz: www.joachimrittmeyer.ch/aktuell/spieldaten

Bilder: © Martin Jenny und Bruno Rauch

29. 11. 2022


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