«übrigens benachrichtige, daß dem 27. Januarii abends um 8 uhr die meinige mit einem buben zwar glücklich entbunden worden. die Nachgeburt aber hat man ihr wegnehmen müssen. Sie war folglich erstaunlich schwach. Itzt aber |: Gott sey dank :| befinden sich kind und Mutter gut. Sie empfehlt sich beyderseyts. Der Bub heisst Joannes Chrysostomus, Wolfgang, Gottlieb.»

Dies schreibt Leopold Mozart (1719–1787) aus Salzburg an «Monsieur mon tres cher amy», den renommierten Augsburger Musikverleger, Musikdrucker und Buchhändler Johann Jacob Lotter (1726–1804). Die zitierten Sätze finden sich am Schluss eines längeren Schreibens vom 9. Februar 1756, worin es hauptsächlich um Leopolds Lehrwerk «Versuch einer gründlichen Violinschule» geht, dessen Korrekturbogen offenbar immer wieder mit Verspätung beim ungeduldigen Verfasser eintreffen, was wiederum aus dem Nachsatz hervorgeht: «ich hoffe sie werden mich nimmer 3 Posttäge warten lassen, denn ich bin ganz desperat, da ich sehe, daß es immer stecket.»
Das langwierige Fortschreiten der Drucklegung der Violinschule scheint den Vater fast mehr zu beschäftigen als die Geburt seines Sohns, des Letztgeborenen von sieben Kindern des Ehepaars Anna und Leopold Mozart-Pertl; die einzige ebenfalls überlebende Tochter, geboren 1751, war Maria Anna Walpurga Ignatia, das «Nannerl». Im Hause Mozart wie in vielen damaligen Familien wechselten Geburt und Tod mit stoischer Konstanz. Und mit Schaudern überlegt man sich, dass es reinster Zufall war, dass der Säugling Wolfgang nicht kurz nach der Geburt starb wie fünf seiner Geschwister...

Anna Maria (Nannerl), Wolfgang Amadeus, Mutter Anna † (im Portrait) und Vater Leopold Mozart
Dass dieser «Bub» einer der größten Komponisten aller Zeiten werden sollte, ließ sich der umtriebige Vater wohl nicht träumen. Allerdings erkannte er die außergewöhnliche Musikalität des kleinen Wolferl, der sich später Wolfgang Amadè Mozart nannte, schon sehr früh und förderte sie entsprechend. Es soll hier nicht dessen Biografie zusammengefasst werden; die Bücher zu seinem Leben und Werk sind ohne Zahl.
Aber es ist zweifellos ein wunderbarer Anlass – so es denn überhaupt einen bräuchte –, an diesem 27. Jänner 2025, zu seinem 269. Geburtstag, ein reines Mozart-Konzert zu besuchen. Gastgeber ist das Kammermusik-Ensemble Chaarts aus dem Aargau, das immer wieder mit ausgesuchten Programmen heraussticht. Naheliegend wäre zweifellos gewesen, mindestens eines der 23 mozartschen Klavierkonzerte aufs Programm zu setzen, war er doch selbst ein herausragender Pianist (und ein wohl eher widerwilliger Klavierlehrer). Chaarts setzen andere Schwerpunkte, doch so oder so, eine Auswahl aus einer Fülle von über 600 Werknummern ist immer eine Qual, immer ein Verzicht.


Die Programmgestaltung schafft es dennoch, einen sinnvollen Bogen von frühen Kompositionen bis zu einer der letzten Köchelnummern zu schlagen. Zudem stehen zwei ausgesprochen singende Instrumente im Zentrum: die Geige – Mozart war auch ein glänzender Geiger – und die menschliche Stimme – Mozart brannte zeitlebens darauf, Opern zu schreiben, wie man in seinen Briefen nachlesen kann. (Und, dies nur nebenbei, viele Sänger bestätigen, dass der vokale Mozart Medizin und Balsam für die Stimme sei.)
Den Anfang macht die Sinfonia concertante für Geige und Bratsche, KV 364, eines der singulärsten unter so vielen singulären Werken Mozarts. Er schrieb sie als 23-Jähriger im Spätsommer 1779 in Salzburg, soeben zurück von einer Reise nach Mannheim und Paris, einem durch und durch frustrierenden Unterfangen: In Mannheim hatte er seine erst große Liebe Aloysia Weber kennen gelernt, die ihm später einen Korb geben sollte, in Paris war die Mutter gestorben (1777), die erhofften Aufträge und der Erfolg waren ausgeblieben. Zwar ist beim Brückenschlag vom Kunstwerk und der Biografie seines Schöpfers höchste Behutsamkeit angesagt, dennoch lässt diese Komposition einiges erahnen von den Wünschen, den Sehnsüchten, der Melancholie auch, die den jungen Mozart damals, im ungeliebten Salzburg, umtrieben. Allein schon das Genre der Symphonie concertante ist ein «Mitbringsel» aus der Seinestadt, wo sie sich dannzumal großer Beliebtheit erfreute.
Doch Chaarts gehen auch bei der Programmierung dieses Werks einen eigenen Weg. Sie wählen nicht die übliche Originalkomposition, sondern sie greifen zurück auf eine kammermusikalische Version für Streichsextett – etwas pompös als «Grande Sestetto mit zusätzlichem Kontrabass» bezeichnet, die 1806 – also nach Mozarts Tod – von unbekannter Hand entstanden sein dürfte. Die sich aber ideal für eine fast schon intim zu nennende Geburtstagsmusik – eine Art Mozartiade – eignet. Der anonyme Verfasser hat sich dabei besondere Mühe gemacht, indem er die zwei Solopartien nicht einfach den beiden Primarii in Geige und Viola und den Orchestersatz den restlichen Musikern übertrug. Vielmehr hat er – wie in der Wiener Klassik üblich – die Solostimmen gleichmäßig auf alle Instrumente verteilt, sodass ein Werk im sogenannt «durchbrochenen Stil» entstand, das heisst, wo sich einzelne Instrumente oder Instrumentengruppen innerhalb einer Melodielinie ablösen und so in wechselnden Konstellationen immer wieder neue Farben und Klangeffekte erzeugen, die Melodie als Ganzes aber nicht tangieren: gewissermaßen ein einziges viel-saitiges Instrument.

Diese Ausgangslage kommt den gleichermaßen homogenen wie individuellen Instrumentalisten von Chaarts in dieser reduzierten Besetzung sehr entgegen. David Castro-Balbi, als Leiter am ersten Pult, und seine Mitstreiter lassen vergessen, dass das Werk ursprünglich für großes Orchester komponiert wurde. Schon die energiegeladene Einleitung – majestätisches Es-Dur – lässt aufhorchen, die Konzentration und Dichte des Spiels stehen fast physisch im Saal: Sind da tatsächlich nur sieben Musiker zugange? Atemberaubend, wie sich das erste Crescendo gleich einem immer intensiveren Scheinwerferkegel aufbaut und ausbreitet: Vorhang auf! Und dann die Zartheit des ersten Soloeinsatzes, der sich gleich weiterspinnt und weiter- und weiterspinnt... Mit höchster Präzision entfaltet sich da ein an Farben und Schattierungen reiches Gewebe. Eleganz und Sinnlichkeit, Drive und Delikatesse zeichnen das Spiel der perfekt aufeinander abgestimmten Musiker aus. Die Intensität, die vom Podium ausgeht, macht es fast verzeihlich, dass das Publikum auch zwischen den Sätzen heftig applaudiert. Dennoch schaffen es die Musiker, die Zuhörer wieder in die filigrane Melancholie des c-Moll-Andantes einzutauchen; auch hier wiederum ein berückendes Weitergeben und Aufnehmen der Motive, ein Wechselspiel, das sich – fast paradox – zum einheitlichen Ganzen fügt. Und zum Presto entfachen die Musiker ein fulminantes Feuerwerk, das neben der Musikalität auch das ausgefeilte Zusammenspiel unter Beweis stellt.

Als zweiten orchestralen Programmpunkt gibt es – «Eine kleine Nachtmusik». Entstanden 1787, trägt sie die Opuszahl KV 525 und rückt damit numerisch wie entstehungsgeschichtlich in die Nähe des «Don Giovanni» (KV 527). Doch was für ein Gegensatz zu dessen oft ins Unheimliche, Düstere kippender Klangwelt. Was für ein Gegensatz auch zur persönlichen Situation: Leopold Mozart war im Mai dieses Jahres gestorben. Auch wenn zwischen Vater und Sohn längst eine Entfremdung stattgefunden hatte, dürfte Mozart der Verlust des intellektuellen und künstlerischen Mentors getroffen haben. Doch von persönlicher Bedrängnis ist in der lichtvollen G-Dur-Serenade nichts zu spüren. Auch über Anlass und Auftraggeber der Komposition ist nichts bekannt, zudem ist ein zweiter Menuett-Satz verschollen.
Die Musiker schaffen es, dem oft – allzu oft? – gespielten Werk unerhörte Frische und mitreißenden Schwung zu verleihen. Da ist nichts von (pseudo-)mozartischer Lieblichkeit zu hören; mit überschäumender Spielfreude werden pointierte Akzente gesetzt; explosive Tutti-Passagen gezündet und – in der lyrischen Romanze, dem Andante-Satz – das Blau vom Himmel geholt.


Und dann der Gesang, wozu die Sopranistin Chelsea Zurflüh zum Ensemble stößt. Und wiederum wird ein großer Bogen geschlagen von einer Arie aus Mozarts Jugend-Oper «La finta giardiniera» über die beiden Konzert-Arien «Alma grande e nobil core» (KV 578) und «Chi sa, chi sa, qual sia» (KV 582) bis hin zur todtraurigen Pamina-Arie aus der «Zauberflöte» und der nicht minder schmerzlichen Sesto-Arie aus «Clemenza di Tito», beide aus dem Todesjahr Mozarts. «Zeffiretti lusinghieri» – allein schon diese Worte der Aria der Ilia aus dem «Idomeneo» sind Musik – könnte man getrost über den Auftritt der Sängerin setzen. Mit ihrem leuchtenden Sopran, der auch in der Höhe seine Wärme und Anmut nicht einbüßt, ist die junge Sängerin eine Mozart-Interpretin, von der man weiterhin hören wird. Glasklare Intonation und ausdrucksstarke Textgestaltung machen ihren Vortrag zum beglückenden Hörerlebnis. Und, es versteht sich von selbst, die Instrumentalisten, jetzt durch mehrere Bläser ergänzt, sind einfühlsame Partner, mitatmend, empathisch, delikat...

Bilder: Wikimedia Commons – © Konzertbilder: rauchszeichen
Als Zugabe folgt eine Arie aus dem ebenfalls jugendlichen «Lucio Silla», wo die Sängerin auch mit halsbrecherischen Koloraturen und Dramatik auftrumpfen darf. Und schließlich, aus naheliegendem Anlass, noch einen poppigen Happy-Birthday-Song – Ich persönlich hätte das Konzert lieber mit Mozart im Ohr verlassen.
Doch als ich der Garderobendame meine Marke entgegenstrecke, raunt mir Mozart ins Ohr: «A geh, sei koa Dalk, den Leit hat’s doch g’falln – und mir a ...»
30.01.2025
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Lieber Bruno
Das war eine wundervolle "Bettlektüre, beruhigend, beglückend, die Musik ist wird durch deine Beschreibung förmlich hörbar.....traumhaft.
Norbert Nussbaumer
Oh, da habe ich etwas verpasst! War aber beim Lesen der wunderschönen Besprechung doch fast dabei. Danke, lieber Bruno!
P.S. Die CHAARTS habe ich im Dezember am gleichen Ort auch schon geniessen dürfen - wahrlich ein begeisterndes Ensemble!
R.K.
Wieder mal was ganz Schönes herausgepickt. Und wunderbar beschrieben 👍👍
N. B.