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Strictly Mozart

Einem Rezital mit ausschliesslich Liedern von Mozart begegnet man selten auf dem Konzertpodium. Diese bilden gelegentlich die Zugabe oder allenfalls einen Programmteil – Mauro Peter hat letzteres unlängst im Rahmen eines wunderbaren Liederabends getan (s. Bericht). Selbst in der sehr umfangreichen Literatur zum Leben und Œuvre Mozarts sind Betrachtungen zu seinem Liedschaffen marginal – ebenso marginal, wie sich dieses Genre mit nur gut dreissig Nummern in seinem Gesamtwerk ausnimmt. Zweifellos handelt es sich dabei um einen künstlerischen Randbereich, wenn man sich dagegen, beispielsweise, die rund 600 Lieder eines Schubert vergegenwärtigt.

Selbst wenn die Stücke für Singstimme mit Begleitung von Klavier, Mandoline oder Orgel fast ausnahmslos Gelegenheitskompositionen sind, hat sich Mozart Zeit seines Lebens in unregelmässigen Abständen immer wieder dieser kleinen, intimen Kunstform zugewandt und damit doch einen nicht unwichtigen Beitrag zur erst in Entwicklung begriffenen jungen Gattung des Kunstlieds geleistet. So spannt sich der Bogen von «Daphne, deine Rosenwangen» (KV 52), das er im Alter von zwölf Jahren im Umfeld des Singspiels «Bastien et Bastienne» (1768) schrieb, bis hin zu einem seiner letzten Lieder, «Sehnsucht nach dem Frühling» (KV 596), entstanden im Todesjahr 1791, wenige Tage nach dem letzten Klavierkonzert (B-Dur, KV 595), dessen Thema aus dem Finalrondo er für dieses, sein wohl berühmtestes Lied nochmals aufgreift. Offensichtlich und gleichzeitig erstaunlich ist jedoch, dass Mozart, der bei der Wahl seiner Libretti zu seinen grossen Opern sehr sorgfältig zu Werke ging, bei seinem Liedschaffen wenig Wert darauf zu legen schien, seinen Namen mit dem eines grossen Dichters zu verbinden, wie das die nachfolgende Komponistengeneration in hohem Masse tat; teils fand er die häufig ziemlich mediokren Gedichte in Almanachen und Sammlungen, teils wurden sie ihm von den jeweiligen Empfängern selbst vorgeschlagen. Sogar das berühmte «Veilchen» (KV 476) fand er in einer Kollektion unter dem Namen des «deutschen Anakreontikers» Johann Wilhelm Ludwig Gleim und vertonte es, ohne sich bewusst zu sein, dass Goethe der eigentliche Autor war; dieser dürfte das Lied wahrscheinlich gar nie gehört haben.

Mozarts Autograph KV 476, Wien 1785


Warum diese musikalischen Kleinode selten im Konzert erklingen, versucht Alfred Einstein, renommierter Musikwissenschafter des letzten Jahrhunderts, zu erklären. Er postuliert, dass Mozart gar keine wirklichen «Lieder» geschaffen habe, zumindest nicht im Sinne des deutschen Kunstliedes, wie es in der Romantik zur Hochblüte gelangte. Effektiv tragen diese Kompositionen für Sologesang und Begleitung häufig die Bezeichnung Ariette, Canzonetta, Romance oder schlicht «Deutsche Arien zum Singen beim Clavier». Umgekehrt gibt es in Mozarts Opern immer wieder «Arien», die eindeutig liedhaften Charakter aufweisen, die sogar explizit und dramaturgisch motiviert als solche deklariert werden, indem man bewusst zur Gitarre, zur Mandoline greift: «Ora cantiamo!» Man denke an Pedrillos maurisches Ständchen aus der «Entführung», an Cherubinos «Voi che sapete», Don Giovannis Canzonetta oder Papagenos Auftrittslied. So zeichnen sich die Liedkompositionen des Musikdramatikers Mozart, auch wenn viele einer für das Lied typischen strophischen Struktur folgen, fast ausnahmslos durch einen ausgesprochen opernhaften Gestus aus.

Dieser Umstand kommt Martina Janková sehr entgegen. Die Sopranistin, einst Ensemblemitglied der Zürcher Oper und auf vielen weiteren Bühnen tätig, hat sich zwar schon immer mit dem Lied beschäftigt, aber sie hat uns ungezählte Male auch als Bühnendarstellerin mit Stimme und komödiantischem Talent begeistert – als Susanna, Zerlina, Despina, Aminta, als Füchsin Schlaukopf oder Wanda («La Grande-Duchesse de Géroldstein»)...

So ist es denn naheliegend, dass sie in ihr Liedrezital im Florhofsaal, Zürich, einen ganz feinen, diskreten operistischen Faden flicht. Und ebenso folgerichtig ist es, dass sie an den Anfang ihres attraktiv zusammengestellten Programms tatsächlich eine echte Opernarie stellt: «Un moto di gioia», jenes «Ariettchen» – so Mozart selbst –, mit dem er eine Arie (Nr. 13) in «Figaro» ersetzte, weil die kapriziöse Adriana Ferrarese del Bene, die in der Wiener Wiederaufnahme im Jahr 1789 die Susanna sang, es so wünschte. Dort, in der Verkleidungsszene des 2. Akts, wirkt das Stück dramaturgisch ziemlich unmotiviert, als Auftakt eines Liederabends ist das lüpfige Walzerchen im 3/8-Takt und in unbeschwertem G-Dur jedoch absolut tauglich, zumal die Janková moto und gioia, also Regung und Freude, mit bezauberndem Schwung mitzuteilen vermag.


Doch dann wird’s ernst. Todernst sogar! Wir erfahren aus einem Brief des Vaters Leopold Mozart aus Olmütz (1767), dass der elfjährige Wolferl an Blattern (Pocken) erkrankt ist, einer damals für Kinder oft tödlich verlaufenden Virusinfektion, der auch eine Tochter Maria Theresias zum Opfer fiel.

Wort und Musik schaffen eine Einheit

Die musikalische Darbietung wurde nämlich mit Texten um und vor allem von Mozart ergänzt. Durchaus schlüssig folgt daher auf die Schreckensmeldung und die Entwarnung ein Lied aus dem Jahr 1768, noch ganz im traditionellen Generalbass-Stil komponiert: «An die Freude» (KV 53). Die Kombination von Wort und Musik ist vor allem bei Mozart, dem unermüdlichen Briefschreiber, nicht besonders originell, doch hier bilden die eigestreuten Textpassagen einen reizvollen, aber äusserst unaufdringlichen, fast möchte man sagen: spielerischen Kommentar zur Musik, sie betten den musikalischen Ablauf in eine ungefähre historische Chronologie, ohne ihn in ein allzu rigides Korsett zu zwängen. Erfreulich ist insbesondere, dass auf die an sich köstlichen, doch etwas überstrapazierten Bäsle-Briefe verzichtet wurde.


Die Texte spricht die Regisseurin und Theaterfrau Claudia Blersch – leider nicht immer mühelos zu verstehen, was offenbar am behelfsmässig eingesetzten Handmikrophon (anstelle des vorgesehenen Kopfmikrophones) liegt. Dennoch gelingt es den beiden Frauen, eine lockere, ansatzweise sogar dialogische Situation zu schaffen, die dem Vortrag jegliche Steifheit nimmt zugunsten einer charmanten Mozartiade für Kopf und Herz. Einen wesentlichen Beitrag zum gelungenen Abend trägt der gestandene Liedbegleiter Gérard Wyss am Steinway bei. Elegant und umsichtig agiert er eher im Hintergrund, wie es dem Wesen dieser Lieder sehr wohl entspricht, versteht es aber doch, da und dort – bei einem Zwischen- oder Nachspiel – pianistische Glanzlichter zu formulieren, gleichsam bestätigende oder augenzwinkernde Kommentare. Mit einer Sonate und einer Fantasie setzt er zudem solistische Schwerpunkte und überzeugt mit klanglich nuancierter und doch dezidiert zupackender Gestaltung.

Das Rezital schreitet in launigem Wechsel von Text und Ton voran. «Ridente la calma» (KV 152), gemäss neuer Forschung die Bearbeitung Mozarts einer Arie aus einer Oper des von ihm geschätzten Kollegen Josef Mysliveček, bestätigt einmal mehr die Nähe zur Oper, was im späteren Verlauf dann durch Zerlinas «Vedrai, carino» ein weiteres Mal unterstrichen wird. Amüsiert verfolgt man, wie die Sängerin der tröstenden Anteilnahme gegenüber dem geschundenen Masetto ein Quäntchen theatralische Koketterie beimischt. Und der Pianist folgt mit zart pochendem Herzschlag. Oper pur! Briefstellen mit Geburtstagswünschen an den Vater, Neckereien für die Schwester, Liebesschwüre an Konstanze, aber auch Sorge um ihre Gesundheit – und die eheliche Treue in der Badekur –, Bericht über eine beschwerliche Reise in einer schlecht gefederten Kutsche… Vergnügliches und Nachdenkliches fügt sich nahtlos in den musikalischen Fortgang des Abends. Zwei französischen Arien aus der Mannheimer Zeit (1777/78) runden das Bild der bukolischen Stimmung; beide mit einem kunstvoll ausgestalteten Klavierpart; zumindest eine davon der Tochter des Flötisten Johann Baptist Wendling gewidmet, was Mozart in einem Brief festhält und was gleichzeitig den unprätentiösen Charakter der Gebrauchs- und Hausmusik und ihren Entstehungsprozess beleuchtet: «Ich habe der Mad:selle gustl (die tochter) gleich nach meiner ankunft ein französisches lied, wozu sie mir den text gegeben hat, gemacht, welches sie unvergleichlich singt.» – Gleiches darf man auch Mme Janková attestieren.

Einen Höhepunkt bezüglich Komposition, Dichtung und Interpretation stellt natürlich das bereits erwähnte «Veilchen» dar. Wiederum macht die Janková aus dieser Miniatur eine kleine, feine Opernszene, anrührend und ironisch zugleich, und Gérard Wyss am Klavier bleibt der Sängerin, dem herzigen Veilchen und der unachtsamen Schäferin nichts schuldig. Komödiantisch, mit einer Brille auf der Nase und händeringend über den unsäglichen Gang der Welt setzt sich sodann «Die Alte» (KV 517) in Szene. «Ein bisschen durch die Nase», lautet die Vortragsanweisung; die Sängerin verzichtet darauf, um aus dem Lied keine plumpe Parodie zu machen, dafür ist jedes Wort dieses Lamentos in pathetischem e-Moll gut zu verstehen. So sehr Martina Janková dem extravertierten Buffo-Genre zugewandt ist, so sehr versteht sie es dennoch, besinnlichere Saiten anklingen zu lassen. Das erfährt man in der ganz anders gearteten «Abendempfindung» (KV 523), vielleicht einem der berührendesten Lieder Mozarts, einem von lächelnder Wehmut geprägten Schatten in diesem fast durchwegs sonnigen Rezital. Hier zeigt sich ihre Gesangskultur aufs Schönste: innig, aber nicht sentimental, schmerzlich, aber nicht larmoyant. Die Stimme ist runder, voller geworden, aber weiterhin mit silbernem Schmelz ausgestattet. Und ich bin mir fast sicher, dass sie das Lied ein wenig für mich, für ihn sang... Zum Schluss nochmals Opéra en miniature – und ganz im Sinne eines lieto fine: Die Sprecherin reicht der Sängerin ein Notenblatt (und relativiert so die allgegenwärtige Genderfrage): «Wenn die Lieb’ aus deinen blauen, hellen, offnen Augen sieht» ist nämlich ein Männerlied, die unverhohlene Schilderung eines Liebesakts mit Klimax und postkoitaler Ermattung – pikant und dezent wie ein Gemälde von Watteau. Doch dann wird die Sängerin gewahr, dass dieses Lied (KV 524) eigentlich «An Chloë» gerichtet ist! Furios wird das Notenblatt zerfetzt, und wir werden mit wohligem Schauer Zeugen des «tragischen» Moments, «Als Luise die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrannte» (KV 520). Gut gemacht, Luise-Martina! Applaus, Blumen und Bravi für alle drei. Auch für Mozart, dessen Geist den Abend irgendwie mitgestaltete. Und der vielleicht kurz zusammenzuckte, als Janková eine Zugabe anstimmte, deren Witz er aber sicherlich verstand: Es erklang ein mozartisches Kuckucks-Ei: «Schlafe, mein Prinzchen» – Servus und Bona nox!

Portraitbild: © Markus Senn


15.12.2022



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