«Auf den Hund gekommen» wäre ein naheliegender Titel für diesen Artikel. Allerdings auch ein bisschen wohlfeil, nicht wahr!? Oder vielleicht: «In Dog we trust»? Auch «Hunde an die Macht!» wäre eine absolut passende, politisch unterfütterte Überschrift. Denn in der Tat, um «Un chien au pouvoir», einen Hund an der Macht geht es in Jacques Offenbachs (1819–1880) politisch brisanter Opéra-bouffe «Barkouf». So heisst das Tier, das der allmächtige Grossmogul der Bevölkerung von Lahore als Statthalter, Vizekönig oder Kaimakan vorsetzt. Damit will er seine aufrührerischen Untertanen ein für allemal bestrafen, die jeden Gouverneur, kaum ist er ein paar Monate im Amt, gnadenlos aus dem Fenster schmeissen.
Ach ja – mein Titel? Offenbachs Geniestreich ist nicht nur eine freche Politsatire auf Despotismus und Herrscherwillkür, sondern, wie fast immer bei Offenbach, auch ein Angriff auf den patriarchalen Machtanspruch. Ist ein charmantes, undogmatisches Beispiel weiblicher Emanzipation, wie der lesenswerte Artikel im Programmbuch zur aktuellen Zürcher Produktion darlegt. Eine beiläufige Szene im 1. Akt unterstreicht diesen Aspekt: Da wird der Protagonistin Maïma, einer Blumenverkäuferin, kurzerhand eine rote Fahne in die Hand gedrückt – eine unmissverständliche, wenn auch etwas sehr gewichtige Anspielung auf Delacroix’ Monumentalgemälde, Ikone der Juli-Revolution von 1830.
La Liberté guidant le peuple (Eugène Delacroix, 1831)
Maïma trauert um ihren Hund Barkouf, den ihr die Soldaten unlängst entführt haben, und mehr noch um ihren Liebsten Saëb, der plötzlich verschwunden ist. Jetzt, anlässlich eines Triumphzugs, entdeckt sie in des Sultans Sänfte ihren Hund wieder: Barkouf ist just jener neu eingesetzte Statthalter. Sehr zum Ärger von Bababeck, dem kriecherischen Grosswesir, der selbst auf dieses Amt spekuliert hatte. Gleichzeitig will er seine Tochter Périzade, die «par un oubli du destin est loin d’être jolie», dafür «méchante et colère», heisst: hässlich, böse und cholerisch, an den Mann bringen. Dann, frei aller Vaterpflichten, könnte er endlich auch seinen zweiten Frühling geniessen. Zu diesem Zweck hat er Saëb in die königliche Garde befördert und will ihn, indem er ihn mit dem Tod seines Vaters erpresst, zum künftigen Schwiegersohn machen. Die Orangenhändlerin Balkis, die Freundin Maïmas, sorgt sich ihrerseits um ihren Freund Xaïloum, einen Heißsporn, der an vorderster Front überall dabei ist, wo es Krawall gibt, und prompt festgenommen wird.
Barkouf beisst, die Zensur beisst zurück
Zu jedem Erlass braucht’s künftig die «Pattographie» des vierbeinigen Vizekönigs. Doch die Einzige, die sich dem Tier nähern kann, ist Maïma. Sie fungiert als seine Sekretärin und übersetzt sein Gebell, allerdings keineswegs im Sinne Bababecks. Sie senkt Steuern, kassiert die Todesurteile der Revoluzzer. Und sie widerruft die Heiratsurkunde für Saëb und Périzade. Gut gebellt, Hund! Dass dann noch schnell ein Giftanschlag auf Barkouf vereitelt und, so nebenbei, ein Angriff der Tartaren niedergeschlagen wird, bei dem Barkouf schliesslich den Heldentod findet, beschleunigt das glückliche Ende und macht den Thron frei für Maïma als neue Gouverneurin von Lahore an der Seite ihres Gatten Saëb. Voilà!
Lahore, vormals Britisch-Indien, heute zweitgrösste Stadt Pakistans, ist indes kaum realgeografisch zu verstehen. Evoziert wird damit vielmehr eine exotische Ferne, die das Pariser Publikum aber zweifellos geografisch am Seine-Ufer und zeitlich im Second Empire verortete; einmal mehr der – hier leider fehlgeschlagene – Versuch, durch die Verlegung der Handlung in den fernen Orient die Zensur einzulullen.
Am Heiligabend des Jahres 1860, zwei Jahre nach dem Sensationserfolg von «Orphée aux enfers», kommt es nach diversen Interventionen in der Salle Favart, also der Opéra- Comique, zur Uraufführung, in jener Spielstätte also, wo Offenbach als blutjunger Cellist seine musikalischen Sporen abverdient hatte, deren Bühne ihm aber bislang verwehrt geblieben war. Seine Werke waren bis dato fast ausnahmslos in dem 1855 von ihm selbst gegründeten Théâtre des Bouffes-Parisiens gespielt worden. Doch nach der siebten Aufführung wird «Barkouf» abgesetzt, der Hund buchstäblich begraben. Obwohl das Publikum die Kostüme und Kulissen akklamiert und sich sogar die Wiederholung dreier Nummern erklatscht hatte! Und obwohl der renommierte Librettist Eugène Scribe und sein Mitarbeiter Henri Boisseaux den Text mehrmals entschärft hatten, verbieten die Zensurbehörden das Werk als «fortwährende Verspottung aller staatlichen Autorität». Die Kritiker empfinden es inhaltlich wie formal als der Opéra-Comique nicht würdig. Die komplexe musikalische Faktur, die ungewohnten harmonische Wendungen, der stilistische Pluralismus, all das zeuge von Schludrigkeit und Unvermögen, so der Befund. Eine besonders gallige Breitseite gegen den Komponistenkollegen (dessen Namen er nicht einmal nennt) feuert Hector Berlioz: «Décidément il y a quelque chose de détraqué dans la cervelle de certains musiciens. Le vent qui souffle à travers l’Allemagne les a rendus fous…» – Das Gehirn mancher Musiker ist übergeschnappt. Der Wind, der durch Deutschland bläst, hat sie verrückt gemacht... Und weiter: «De quel Messie alors l’auteur de ‹Barkouf› est-il le Jean-Baptiste?» – Von welchem Messias ist der Autor des ‹Barkouf› nun Johannes der Täufer? Der «neue Messias» ist natürlich Wagner. Dessen «Tannhäuser» wird zurzeit in der Grossen Oper geprobt (164 Proben sollten es gewesen sein), im März 1861 aufgeführt und – grandios ausgepfiffen.
Es sollte über dreissig Jahre dauern, bis «Tannhäuser» wieder in Paris aufgeführt wurde; «Barkouf» dagegen verschwand komplett von der Bühne, blieb verschollen und wurde nie gedruckt, bis das Autograph vom Offenbach-Herausgeber Jean-Christophe Keck nach hartnäckigen Recherchen wiederaufgefunden und Ende 2018 aus Anlass von Offenbachs 200. Geburtstag ediert wurde. 2018/19 erlebte das Werk an der Opéra national du Rhin in Strassburg und als Übernahme kurz darauf in Köln sein Revival. Erstmals nach 158 Jahren!
Und jetzt die schweizerische Erstaufführung im Opernhaus Zürich!
Für musikalischen Drive sorgt der französische Dirigent Jérémie Rhorer. Er hat das Flair, die pointierte Klangsprache Offenbachs idiomatisch und lebendig zu artikulieren, die Philharmonia Zürich folgt hellwach und nimmt sich der leichten Muse mit dem nötigen Ernst an, und das Cello darf wunderbar schwelgen. Unter Rhorers Dirigat wird hör- und spürbar, mit welcher Ambition und Meisterschaft Offenbach den Orchesterpart ausgestattet hat und die Operette, trotz Absurdität des Stoffs, damit in die Nähe der Oper mit grossem Chor rückt. Dieser, obzwar in pudrig-zarte Pastellfarben gekleidet (Kostüme: Ursula Kudrna), bringt sich machtvoll ins Geschehen ein und drapiert sich immer wieder malerisch auf dem schwer zu beschreibenden Bühnenaufbau, der die Szene ziemlich füllt. Marie Caroline Rössle hat ihn entworfen in Gestalt einer sich drehenden Plattform auf klobigen Pfeilern, die ein wenig an die Calatrava-Passerellen am Stadelhofen erinnert, mit Nischen, Sockeln und Treppen. Effektvoll ist gleich zu Beginn die Lichtgestaltung von Franck Evin, indem die Lichtkegel, perfekt getimt auf die Musik des Vorspiels, Gruppe um Gruppe beleuchten, bis die ganze Bühne erhellt ist: das Wimmelbild eines orientalischen Marktes.
Überzeugendes Sängerensemble
Andreas Hörl hat zwar nur einen einzigen, aber dafür umso effektvolleren Auftritt als Grossmogul, ein köstlich überzeichneter Popanz: Zu dick, zu träge, um sich von seinem goldenen Pouf zu erheben, aber mit grollendem Bass, der ebenso imposant ist wie sein gigantischer Wanst. Ein boshafter Bruder des Osmin, der von Milde schwadroniert, aber gleichzeitig den Aufrührer Xaïloum erbarmungslos aufs glühende Kohlenbecken zwingt, bevor diesem wahrscheinlich noch Schlimmeres droht.
Der Holländer Marcel Beekman, einer von vier Tenören in diesem Stück, gibt dagegen einen äusserst wendigen Bababeck: stimmlich wie darstellerisch ein Knaller. In seinem Auftritts-Couplet zeichnet er das Bild eines draufgängerischen Schwerenöters; in einem weiteren Lied berichtet er, ganz opportunistische Hofschranze, doppelzüngig und theatralisch von seiner Audienz bei dem hündischen Vorgesetzten – ein lautmalerisches, kompositorisches und sprachliches Kabinettstück.
Als seine Tochter Périzade hat Siena Licht Miller nicht allzu viel zu singen; ein in Tüll gehülltes Dummchen, das einem fast ein wenig leidtut. Mingjie Lei als Saëb gefällt mit geschmeidigem, lyrischem Tenor, geradezu betörend in seiner Romance, wo er dem Zwiespalt zwischen seiner Liebe zu Maïma und der Sohnestreue bewegenden Ausdruck verleiht. Den Eunuchen Kaliboul singt Daniel Norman, für einmal ein tenoraler Finsterling. Den vierten Tenor stellt Sunnyboy Dladla, ein jugendlich strahlender Xaïloum – und ein Glücksfall: Er hat die Rolle vor zwei Jahren in Köln gesungen und konnte so kurzfristig für den erkrankten Andrew Owens einspringen. Dass ihn die Regie in einem Flugseil wie einen Kartoffelsack über den Verschwörern baumeln lässt, um deren Komplott zu belauschen, kann man ihm wirklich nicht ankreiden... Brenda Rae ist eine grazile Maïma; ihre Spitzentöne klingen zwar etwas scharf, die schwebenden Trillerpassagen im «Hunde»-Couplet aber umso zärtlicher. Und einige wenige Intonationstrübungen gehen sicher zulasten des Premierenfiebers. Jedenfalls wird das Duett mit Balkis – Rachael Wilson mit gehaltvollem, körperhaftem Mezzosopran – zu einem der grossen Momente.
Viele Einfälle, wenig Ideen
Es ist hinlänglich bekannt: Das Leichte auf der Bühne dar- und herzustellen, ist enorm schwer. Am besten gelingt das den zahlreichen gepfefferten Tanzeinlagen, die Martina Borroni choreografiert hat: mal Randalierer, mal Hochzeitspüppchen, mal Insekten... nicht immer ganz einleuchtend, aber allemal fulminant eingesetzt.
Regisseur Max Hopp dagegen schafft diese Leichtigkeit nur bedingt. Er verzichtet bewusst auf eine fast naheliegende Aktualisierung. Eine solche braucht’s wirklich nicht zwingend, das doppelbödige Stück böte genügend Anreiz für Bezüge zur Gegenwart. Doch um uns den grotesken Plot näher zu bringen, hat der Regisseur viele, sehr viele, sehr lange und sehr betuliche Zwischentexte verfasst. Mit ironischer Distanz und leiser Melancholie vorgetragen werden sie vom bewährten André Jung im lodengrünen Samtanzug, der sich als Jacques le Chien vorstellt; ein Hundmensch oder Menschhund – eine Art domestizierter Abkömmling des Werwolfs, dem immer mal wieder ein Knurren und Bellen ’rausrutscht. Ein Erzähler wäre gewiss eine taugliche Idee, aber sie bremst und verlangsamt die Geschichte unnötig. Wie beispielsweise mit einem albernen Kindervers vom Mops, den der Koch wegen eines gestohlenen Eis zu Brei schlägt. Oder dem endlosen Schlussmonolog über Sinn und Moral des Stücks, während wir alle aufs zündende Finale warten.
Die acht putzigen Hundchen im erwähnten Couplet Maïmas, die teilweise wie Büsis aussehen, sind zwar nett, aber harmlos – gerade da, wo es um die Besänftigung des von allen gefürchteten Barkoufs durch eine junge Frau geht. Den Hund selbst sieht man zwar nie, wie es auch das versierte Theatergespann Offenbach-Scribe vorgesehen hatte. Hier erscheint er lediglich als schattenhafte Silhouette, fürs Gebell sorgt, wie gesagt, der Hundmensch.
Trotz einiger netter Einfälle, gelingt es der Regie nicht, Schmiss und Charme, Stringenz und Biss dieser Burleske einzufangen. Der Esprit, eine unabdingbare Ingredienz der offenbachschen Tragikomik, bleibt weitgehend auf der Strecke. Bisweilen droht sogar Langeweile, obwohl die Inszenierung die verschiedensten Genres herbeizitiert: saftige Operette, je eine Prise Folies Bergère, Music Hall und Variété, ein paar Körnchen Slapstick, einen Spritzer Hollywood, eine Portion Karneval, einen Hauch Märchenzauber... All das braucht es zweifellos! Allein, das Soufflé will nicht recht aufgehen. Oder, um ans Cover des Programms und ans Plakat zu erinnern: Etwas wenig Fleisch am Knochen!
Bilder: @ OHZ – Monika Rittershaus
25.10. 2022
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