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Vor Ohrwürmern wird gewarnt!




«Ja, das Studium der Weiber ist schwer...» – der chauvinistische Marsch aus sieben Männerkehlen ist nur einer der zahlreichen Ohrwürmer, die sich in der Operette «Die Lustige Witwe» von Franz Lehár (1870–1948) sozusagen die Klinke in die Hand geben – um alsbald durch die nächste Tür wieder aufzutauchen. Und das mit System, denn sie sollen sich ja einprägen, einwühlen, einschmeicheln in die Gehörgänge – und Herzen! – eines Massenpublikums wie die Schlager, die ab 1900 groß in Mode kamen, indem sie die Operettenmacher zu süffig-l(s)eichten Kompositionen anregten und diese sich im Gegenzug zu Hauptproduzenten schlagertauglicher Melodien erwiesen. Die Operetten, vorab jene aus der zweiten, der sogenannten Silbernen Ära (ca. 1900–1940, und aus pekuniärer Sicht durchaus als «golden» zu bezeichnen), lieferten Gebrauchs- und Unterhaltungsmusik erster – oftmals allerdings auch dritter – Güte. Dass fast alle dieser Evergreens oder Gassenhauer, wie man damals sagte, zudem im Rhythmus einer Tanzform daherwalzern oder foxtrotten, war ihrer Verbreitung nur förderlich und sorgte, live gespielt oder, wenig später, ab Schellackplatten rauschend, für wachsende Popularität des Genres in den einschlägigen Tanzpalästen und -lokalen des frühen 20. Jahrhunderts. Das Paar Lackschuhe auf dem Plakat zur aktuellen Produktion des Zürcher Opernhauses der «Lustigen Witwe» ist signifikant! Ein weiterer Aspekt ist sodann die inhaltlich-dramaturgische wie musikalische Isolierbarkeit der einzelnen Musiknummern aus ihrem Kontext im Stück.






Adorno, für seine oft bissigen musikalischen Essays und Kritiken bekannt, bezeichnete das Werk als «eine der letzten Operetten, die noch etwas mit Kunst zu tun hat und eine der ersten, die sie unbedenklich verleugnet» (1934). Andere, darunter Karl Kraus, bezichtigten Lehár des schnöden Kommerzes; monierten, er sei mehr Kaufmann als Musiker. Unbestreitbar: Die Rezeption der «Lustigen Witwe» markiert einen Anfang des Massenmediumzeitalters, sowohl quantitativ als auch geografisch. Aus dieser Sicht sind Lehárs Operetten durchaus modern, etwas pointiert gesagt, «zukunftsgerichteter» als manche der gleichzeitig sich entwickelnden Musikströmungen. Und interessant in diesem Zusammenhang, dass Lehár mit Puccini, der mitunter ebenfalls unter Kitsch- und Kommerz-Verdacht steht, eine fruchtbare Künstlerfreundschaft pflegte.

 

Tatsächlich löste der am 30. Dezember 1905 im Theater an der Wien uraufgeführte lehársche Geniestreich ein wahres Fieber aus. Der Start war zwar einigermaßen verhalten, wie in einer zeitgenössischen Kritik zu lesen ist: «Der neuen Operette [...] ist eine sehr hübsche und graziöse Musik nachzurühmen. Sie enthält ausnehmend zierliche Walzerweisen und eingestreute slawische Melodien. […] Leider versagte der Text [...] vollständig, es kommt weder zur Entwicklung einer Handlung, [...] noch beleben irgendwelche lustige Gestalten die Szene. Die anmutige Musik dürfte sich bei diesem Libretto nicht halten können.» (Dresdner Journal, 2.1.1906).

 

Das Stück verfasst hatten die Librettisten Victor Léon und Leo Stein nach dem Theaterstück «L’attaché d’ambassade» (1861) von Henri Meilhac, dem Hausautor Offenbachs, durften aber aus rechtlichen Gründen dessen Titel nicht verwenden.

 



Eine Frau, die weiß, was sie will

So wurde anstelle des Mannes die Frau zur Titelfigur, was eigentlich besser zum Inhalt passt: Eine Frau, klug, attraktiv, emanzipiert, die den Männern, die sie wie Motten umschwärmen, zeigt, wo’s lang geht. Es ist die zwanzigmillionenschwere Witwe Hanna Glawari aus Pontevedro – gemeint war Montenegro –, die nach Paris kommt, dem damaligen Hotspot von Geist und Geld. Dort, auf der pontevedrinischen Botschaft, begegnet sie unverhofft ihrer Jugendliebe, dem Grafen Danilo Danilowitsch, jetzt Gesandtschaftssekretär, der sie, als einfaches Mädchen aus dem Volk, damals, vor gut zwanzig Jahren, aus Standesgründen nicht hatte heiraten können. Die alte Liebe entflammt erneut. Doch Danilo, inzwischen eingefleischter Hagestolz, aber keineswegs Kostverächter, wie seine häufigen Besuche Chez Maxim beweisen, bringt das entscheidende Wort nicht über die Lippen, um nicht als Mitgiftjäger zu erscheinen. Doch just dazu hat ihn die Gesandtschaft in der Person des Barons Zita bestimmt: Dem bankrotten Staat die Millionen der Glawari zu sichern, die durch deren Heirat mit einem Franzosen verloren gehen könnten. Zum Beispiel mit dem naiven Camille de Rosillon. Er soll die reiche Dame ehelichen, und zwar auf Geheiß von Valencienne, der Gattin des Gesandten Zita, die damit ihrer Liaison dangereuse mit Camille ein Ende machen will. Als Hanna beteuert, das geerbte Vermögen bei Wiederverheiratung zu verlieren, ist Danilo endlich zur Ehe bereit. Valencienne bleibt «eine anständ’ge Frau». Camille – geht leer aus.

 

Ein Plot also, der im Gegensatz zu manchen Operngeschichten leicht nachzuvollziehen und vielleicht nicht einmal so obsolet ist, Etwas betulich dagegen wirken die bisweilen arg strapazierten Reime der Gesangstexte (Schlager eben!) und die kalauernden Dialoge – aber wir, vom Musiktheater mit wenigen Ausnahmen nichts Anderes gewohnt, sind diesbezüglich hart im Nehmen...




Den entscheidenden Durchbruch schaffte die «Witwe» anlässlich ihrer Berliner Premiere im Frühjahr 1906. Da attestiert beispielsweise Felix Salten, Autor des «Bambi», dem Komponisten, er treffe den Zeitton, mehr modern als wienerisch, und seiner Musik bescheinigt er, sie sei heiß von offener Sinnlichkeit und erfüllt von geschlechtlicher Wollust – na ja... Offenbar war dieser zeitgeistige Ton so nachhaltig, dass das Werk in den gut vier Jahrzehnten zwischen seiner Uraufführung und dem Todesjahr des Komponisten rund 300'000 mal über die Bühnen tanzte – von Mailand bis Manaus, von Moskau bis Manhattan – und in Amerika eine regelrechte «Merry-Widow-Mania» auslöste, mit Modeartikeln, Parfums, Liqueurs, Zigaretten... Event-Merchandising avant la lettre.

 

Kurz: All diese Einschätzungen, Fehlurteile, vielleicht sogar Lehárs problematisches Verhältnis zu Nazi-Deutschland sind eine Steilvorlage für den umtriebigen Regisseur Barrie Kosky. Vorgaben, denen er mit der ihm eigenen Chuzpe eine geballte Ladung Talmi und Tand und Revue-Schnickschnack entgegensetzt, und die er mit einer tüchtigen Portion Klamauk, Blödelei, (Selbst-)Ironie sowie einem Quäntchen unterschwelliger Melancholie konterkariert. Wenn schon Operette, dann so! Funkelnd, schillernd. Mit einem Augenzwinkern. Doppelbödig. Und nicht ganz günstig bezüglich Kosten und Arbeitsstunden, wie Intendant Homoki in seiner Premierenrede launig kundtat. Jedenfalls, soviel kann man bereits festhalten, hat sich der Aufwand gelohnt; das Premierenpublikum war hingerissen und beklatschte jeden Auftritt, jeden Hit enthusiastisch. Was sich auch in den Folgevorstellungen wiederholen wird.




Schlichtes Bühnenbild, farbenprächtige Kostümorgie

Fürs muntere Geschehen hat Klaus Grünberg ein bestechend einfaches Bühnenbild gebaut: An einer schneckenförmigen Rundschiene 6 Meter über dem Bühnenboden hängt ein dunkler Vorhang, der sich durch raffinierte Mechanik so bewegen lässt, dass er je nach Position uns mal seine äußere, mal seine innere Seite sehen lässt, mal ganz verschwindet und auf diese Weise verschiedene Räume schafft – oder auch verdeckt, wie gleich zu Beginn. Ein paar Wandappliken im Art-Déco-Stil verweisen auf die späten Zwanziger-Jahre wie auch die Kostüme von Gianluca Falaschi, die sich aus dem eleganten Schwarz des Anfangs zu einer immer farbenprächtigeren Variété-Ästhetik mit Federn, Pailletten und Strass entwickeln. Für einen karnevalesk bunten Overkill sorgen schließlich die prachtvollen Kostüme und Kopfputze der Kokotten Chez Maxim. Da weht auch ein gehöriger Schuss Berliner Luft, gemischt mit opulentem Broadway-Glamour durch die pariserischen Folies Bergère – bild- und sinnhafte Internationalität, wie sie dem lehárschen Œuvre sehr wohl entspricht.




An Mobiliar gibt es einzig einen Flügel, der auf der Drehbühne zu Beginn von links ins Bild rückt, davor sitzend eine elegante ältere Dame: Hanna Glawari, die, so scheint es, ihr Leben und Lieben wie im Spiel an sich vorüberziehen lässt. Ein delikater Regieeinfall, diese Träumereien von einer Klavierwalze untermalen zu lassen. Man denkt an die elektrischen Claviere, Vorgänger der späteren Jukeboxes, und folgt willig dem Zauber, der von diesen historischen Klängen ausgeht – Improvisationen über die Hits aus der «Witwe», eingespielt von ihrem Schöpfer himself: Franz Lehár! 

 

Doch bald wird die Träumerin von sechs Schönlingen aufgeschreckt, die die Lady zum Tanz auffordern und mit dem Einsatz des Orchesters ins frivole Getriebe der kommenden zweieinhalb Stunden entführen. Marlis Petersen als gestandene Strauss-Sängerin gibt die Glawari mit Noblesse und Stil. Dennoch versteht sie es, ihrer reifen Stimme eine gewisse Leichtigkeit und Natürlichkeit einzuschreiben. Ihr Vilja-Lied klingt, als hätte es Mozart komponiert, und die folkloristische Begleitung durch Zupfinstrumente und den schellenbaumartigen Bumbass aus dem Balkan erzeugen einen pikanten Akzent, optisch wie akustisch.



Auch Michael Volle als widerborstiger Danilo ist in einem anderen Stimmfach zu Hause. Sein sonorer Bariton ist eigentlich zu schwer für die Rolle des potenten Schwerenöters. In Volles Interpretation ist dieser jedoch ein in die Jahre gekommener Galan, dem die nächtlichen Eskapaden im Maxim mit der Zeit doch etwas zugesetzt haben. Der gewiefte Sänger kreiert ein interessantes Rollenprofil, das bisweilen fast gesprochene Passagen beinhaltet, etwa in seiner doppeldeutigen Erzählung von den zwei Königskindern. Da scheint einer seine Gefühle mit Jovialität und Nonchalance überspielen zu wollen und seinem Ruf als Lebemann nachzujagen, aber gleichzeitig die Schalheit dieser Attitüde zu spüren. Entsprechend berührend ist jene Begegnung, wo sich die beiden «Königskinder» im Duett «Lippen schweigen, ’s flüstern Geigen...» gegenüberstehen und die emotionsgeladene Melodie summen – ein intimer Moment im extravertierten Getöse.

 



Stimmig ist auch das zweite, das Buffo-Paar besetzt. Andrew Owens mit Nickelbrille und blonder Schmalztolle gibt den etwas unterbelichteten Camille de Rosillon als linkisch-läppischen Grünschnabel, dem man ungeachtet des tenoralen Schmelzes den feurigen Liebhaber kaum zutraut. Seine Romanze überzeugt denn auch mit fast puerilem Charme. So ist es absolut einleuchtend, dass Valencienne in dieser Liebelei die treibende Kraft sein dürfte. Katharina Konradi mit betörend glockenhellem Sopran gestaltet die Figur nicht als grämliche, frustrierte Diplomatengattin, sondern als lebenslustige, junge Frau – eine Schwester der Susanna aus dem «Figaro», woran ja auch die Pavillon-Szene erinnert.

 

Im spielfreudigen Ensemble der pontevedrinischen Diaspora, der Pariser Spaßgesellschaft, der Tänzerinnen und Tänzer, der Grisetten und Ballsirenen (genderfluide Choreo: Kim Duddy) sticht Martin Winkler als dusseliger Baron Mirko Zeta heraus. Mit seinen Mundarteinwürfen hat er schon mal die Lacher auf seiner Seite. Ihm zur Seite als Kanzlist und Drahtzieher Njegus, eine Sprechrolle, steht die Schauspielerin Barbara Grimm. Mit ihren grauen Haarsträhnen ist sie tatsächlich eine Graue Eminenz innerhalb der Blödelgesellschaft aus patriotischen Marionetten, die bei jeder Erwähnung des fernen Vaterlands reflexartig salutieren.

 


Mit Sentiment und Schmiss

Die Philharmonia Zürich scheint sich unter dem Dirigenten Patrick Hahn in der raffiniert instrumentierten Partitur sehr wohlzufühlen. Der österreichische Dirigent mit Jahrgang 1995 schlägt zügige Tempi an, weiß aber auch die sinnlichen Rubati genüsslich auszukosten: Sentiment und Schmiss ohne Schwulst und Schmäh. Hahn legt der Sängerschar einen tragenden Teppich aus, mal hochflorig, mal dicht, mal fein gewebt. Er setzt kernige Akzente, schafft aber immer wieder Raum für kammermusikalisches Musizieren. Dass Dirigat und Regie offenbar gut miteinander können, zeigt der schöne Einfall am Schluss: Da bricht das Chorfinale jäh ab, der Flügel vom Anfang fährt wieder ins Bild, daran angelehnt ein alterndes Ehepaar, Danilo und Hanna. Ihr legt nun Kosky die zweite gestrichene Strophe des Weibermarsches, orchestriert von Patrick Hahn, in den Mund. Als Antwort auf die Weiberschelte wird jetzt geschildert, wie die Männer zuhause den Despoten markieren, die Seitensprünge und die Sauferei nicht lassen können, daheim schlapp machen, doch auswärts als «lose Falter» an jeder Blume naschen... Gegen Ende der Strophe wird’s Danilo unwohl, er schleicht sich von hinnen – aus Scham? Oder zieht es ihn wieder ins Maxim? Wir erfahren es nicht; die Frau bleibt allein zurück, drückt ein Foto des Gemahls an die Brust, die Sologeige flüstert nochmals jene zauberische Melodie, und ins Dunkel der Bühnen spricht Hanna die letzten Worte: «Ja, so – ist's einmal und fertig!»

 

Man schluckt schon a bisserl leer, bevor der brausende Applaus den magischen Moment wie eine schillernde Seifenblase platzen lässt...  




Szenenbilder: © OHZ – Monika Rittershaus


13.02.2024

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