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Nur über ihre Leichen

  • Autorenbild: Bruno Rauch
    Bruno Rauch
  • 26. Apr.
  • 9 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 30. Apr.

Wie sich der Vorhang hebt zu Erich Wolfgang Korngolds Oper «Die tote Stadt», der jüngsten Premiere im Zürcher Opernhaus, reibt man sich erst mal die Augen. Beziehungsweise: die Ohren! Statt Musik erklingt gesprochener Text. Die Stimme eines Mannes. Und was er sagt, löst irritiertes akustisches Stirnrunzeln aus im Saal. Zu hören sind Sätze wie diese: «...für eine Frau, noch dazu eine Sechzehnjährige, gibt es nichts anderes, als sich dem Mann vollständig unterzuordnen.» Oder: «Die Frauen haben keine Originalität...» Und: «Eine liebende Frau vergöttert selbst die Laster und größten Missetaten des geliebten Mannes.» 

Die misogynen Phrasen stammen aus Fjodor Dostojewskis kaum hundert Seiten starken Novelle «Die Sanfte» (1876). Darin monologisiert ein 41-jähriger Pfandleiher an der Leiche seiner Gattin, die unter einem dunklen Tuch in der Wohnung aufgebahrt liegt. Er hatte die um viele Jahre jüngere Frau als 16-Jährige geheiratet und sie über Jahre mit schweigender Strenge und sadistischer Gefühlskälte «erzogen», bis die Gepeinigte, eine Ikone der Mutter Gottes im Arm, ihrem Leben mit einem Sturz aus dem Fenster ein Ende setzte. Eine diesbezügliche Zeitungsnotiz soll den Dichter zur Erzählung inspiriert haben; wir Opernbesucher erfahren vom «tragischen Vorfall» durch eine eingeblendete Ticker-Notiz.

 

Jetzt, auf der Bühne, schleudert ein Mann diese toxischen Attacken einer Frau in rotem Kleid entgegen. Diese sitzt stumm und apathisch an einem Fenster, antwortet nicht. Stattdessen erklingt a capella aus dem Off das Lied «Glück, das mir verblieb» (jenes Zugstück, das, außerhalb der Oper, Eingang ins Wunschkonzert-Repertoire gefunden hat) – gleichsam ein verwehtes Erinnern an glücklichere Zeiten. Es kommt zu tätlichen Übergriffen des Mannes, deren fataler Ausgang im verdämmernden Licht nur erahnt werden kann – verantwortlich für die stimmungsvollen Lichteffekte ist Gleb Filshtinsky. 

Das Publikum in der Rolle des Voyeurs


Der eingangs zitierten monströsen Tirade entsprechend hat der Regisseur Dmitri Tcherniakov, der stets sein eigener Bühnenbildner ist, ein wenig einladendes, aber eindrückliches und aussagestarkes Bühnenbild geschaffen: Zu sehen ist eine düstere Hausfassade, auf Höhe der Bel-Étage eine Fensterzeile, durch die man in eine durch Türen verbundene Zimmerflucht blickt, erhellt vom Licht kalter Kugelleuchten. (Hier werden sich viele der kommenden «Szenen einer Ehe» abspielen; für Opernbesucher auf seitlichen Plätzen suboptimal, auch akustisch ist die Distanz der Sänger zum Graben nicht immer ganz unproblematisch.) Links und rechts erkennt man je einen erkerartigen Vorsprung, während der mittlere, zurückgesetzte Teil von einem Balkon besetzt ist; kein Flecken Himmel, kein Baum, nichts... Hier möchte man nicht wohnen. Im Vordergrund eine leere, graublaue Fläche, die sich später als Drehbühne entpuppt, was man mit etwas Fantasie als Kai an einer der vielen Grachten, winters vielleicht sogar zugefroren, interpretieren kann. Denn: Als Schauplatz wird im Libretto die flandrische Stadt Brügge, das «Venedig des Nordens», genannt. Einst eines der reichsten und prächtigsten Welthandelszentren Brabants – hier entwickelte sich unter anderem die erste Börse für Handels- und Wechselgeschäfte –, bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts der Hafen versandete und die prosperierende Metropole wirtschaftlich und kulturell ins Abseits geriet: Bruges-la-Morte! (NB: Dem jahrhundertelangen Stillstand – Ironie der Geschichte! – verdankt die heute alles andere als tote Stadt ihren intakten historischen Stadtkern, der mittlerweile zu den reizvollsten Europas zählt und den Besuch absolut lohnt!)

Abbildung aus der Erstausgabe der «Toten Stadt» (@ cw – Flammarion, Paris)

Langerej im heutigen «lebendigen» Brügge (© Bruno Rauch)

Dostojewskis Antihelden

Tcherniakov nutzt indes eine weitere Erzählung des Russen, um den Charakter des korngoldschen Protagonisten zu ergründen: In den «Aufzeichnungen aus einem Kellerloch» (1864) reflektiert ebenfalls ein misanthropischer Mitvierziger sein Verhältnis zur Welt und zu seinen Mitmenschen, die er allesamt für minderwertig, niederträchtig und unwürdig hält.

 

In beiden Fällen handelt es sich beim Ich-Erzähler um gescheiterte Existenzen. Und beide suchen sie ihre gestörte Befindlichkeit und ihre Komplexe, ihr Gefühl, ausserhalb und gleichzeitig über der gemeinen Welt zu stehen, damit zu kompensieren, dass sie ihr (weibliches) Gegenüber dominieren, erniedrigen, subtil tyrannisieren – im extremen Fall gar in den Suizid treiben.


An dieser Stelle ist es sinnvoll, sich die ursprüngliche Fassung der Oper, ihre Entstehungsgeschichte und ihren Schöpfer zu vergegenwärtigen.

Julius Leopold Korngold, der Nachfolger des legendären Eduard Hanslick, war zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende in Wien ein gefürchteter Musikkritiker und gleichzeitig furioser Gegner der Wiener Schule, die er in seinem Buch «Atonale Götzendämmerung» geisselte (1937). Sein Sohn Erich Wolfgang galt als komponierendes Wunderkind; bereits mit elf hatte er mit einer Ballettpantomime auf sich aufmerksam gemacht. Strauss, Zemlinsky, Puccini und eine ganze Reihe renommierter Dirigenten der Zeit waren seine Bewunderer und Förderer.

Georges Rodenbach (1858–1898) Der junge Erich Wolfgang Korngold (1897–1957)


Im Bemühen, den Sohn zum Gegenpol der musikalischen Avantgarde in Stellung zu bringen, schlug Korngold senior dem mittlerweile 20jährigen Erich den Roman «Bruges-la-Morte» des belgischen Symbolisten Georges Rodenbach als Opernstoff vor, der 1903 auf Deutsch erschienen war und den Nerv der Zeit offenbar perfekt traf. Auch Rodenbach selbst, Freund und Weggenosse u. a. von Maeterlinck, Mallarmé und Verlaine, entsprach dem Bild des Fin-de-Siècle-Künstlers: leidend, zart, hypersensibel und letztlich in geistiger Umnachtung endend. Sein Roman war 1892 als Feuilletonroman im «Figaro» erschienen und noch gleichen Jahrs in Buchform – als Novum illustriert mit 35 fotografierten Stadtansichten von Brügge. 

Fernand Khnopff (1858–1921): Frontispiz der Erstausgabe von Rodenbachs

symbolistischer Erzählung. Der berühmte belgische Maler schuf auch die

Bebilderung sowie das Bühnenbild für die dramatisierte Version des Romans.


Unter dem Pseudonym Paul Schott (der Name des Protagonisten und des Musikverlags) erarbeiteten Vater und Sohn gemeinsam das Libretto, wobei sie sich neben dem Roman auch auf das Theaterstück «Le Mirage» (Das Trugbild, 1898), ebenfalls aus Rodenbachs Feder, gestützt haben dürften. Mit der «Toten Stadt», am 4. Dezember 1920 gleichzeitig in Köln und Hamburg uraufgeführt, gelang Korngold ein epochaler Erfolg; die Oper wurde weitherum nachgespielt, sodass der 23jährige Komponist neben Richard Strauss quasi aus dem Stand zum meistgespielten lebenden Opernkomponisten im deutschsprachigen Raum wurde. Mit dem Aufziehen der braunen Kulturbarbarei verschwanden seine Werke in der Versenkung; Korngold emigrierte 1934 nach Amerika, wo er sich als Komponist für Filmmusik etablierte und einer der ersten war, der den Hollywood-Film als legitimen Ort für emotionale, atmosphärische sinfonische Musik begriff und prägte. Obwohl ihm diese Tätigkeit zwei Oscars eintrug, rümpfte die Klassikbranche die Nase ob des Wechsels von der hehren Opernbühne zur profanen Kino-Leinwand. Jedenfalls misslang ihm nach dem Krieg in Europa ein Anknüpfen an den einstigen Ruhm, sodass er desillusioniert in die Staaten zurückkehrte, wo er 1957 verstarb. Erst in den 1970ern begann man sich wieder vermehrt für sein Werk, vorab seine erfolgreichste Oper, zu interessieren.

Die Stadt als Seelenraum

Der Protagonist Hugues Viane – bei Korngold wird er Paul heißen – lässt sich nach dem Verlust seiner Frau im «toten» Brügge nieder, weil die Melancholie der labyrinthischen Gassen, die Wasserläufe «wie Tränenrinnen», die Türme mit ihrem ehernen Glockenklang, das mystisch-katholische Ambiente seinen Schmerz um die Verlorene, ja die tote Frau selbst – im Roman noch namenlos, in der Oper dann Marie genannt – in geradezu beängstigender Weise zu widerspiegeln scheinen: Tatsächlich ist die Stadt mehr als malerische Kulisse, mehr als lokales Kolorit; sie war, so lesen wir, «so tot wie sein Herz, war der geeignete Ort für seine Trauer».

 

In wahnhafter Obsession huldigt er der Toten, indem er ihr Bildnis, ihre Kleider, ihren Duft, ihre goldfarbene Haarsträhne zu Reliquien hochstilisiert; er errichtet ihr eine «Kirche der Erinnerung», wie er selbst sagt. Eines Tages begegnet ihm auf seinen ziellosen, depressiven Streifzügen durch die Stadt eine Frau, die ihm als Reinkarnationen seiner Marie erscheint. Eine Erscheinung? Ein Phantom? Eine Sinnestäuschung? Paul/Hugues verfällt ihr. Und obwohl Marietta, Tänzerin bei einer Theatertruppe, der zur Heiligen verklärten Verstorbenen aufs Haar gleicht, erweist sie sich als lebenslustig, selbstbewusst und auch ein bisschen frivol. Vor allem fordert sie, um ihrer selbst willen geliebt zu werden. Als sie sich über Pauls nekrophilen Kult lustig macht, rastet dieser aus. Noch während draussen die Heilig-Blut-Prozession vorbeizieht (die bis heute zelebriert wird), erwürgt er sie – mit der Haarflechte der toten Marie...

Dies das Ende des Romans von Rodenbach, den man ob seiner Motivik – Doppelgängertum, Spiegelung, Wasser, Nebel, Erinnerung, Zwischenreich Schlaf/Traum/Tod, weibliches Haar, Duft und Klang u. v. m. – geradezu als symbolistisch aufgeladenes Psychogramm bezeichnen könnte. Die Korngolds übernehmen diesen zwischenweltlichen Kosmos des Traums und der Transzendenz. Aber sie mildern das tragische Ende mit einer positiven Wendung, indem sich das albtraumartige Geschehen als kathartischer Traum herausstellt, was Paul die Befreiung aus dem Kokon der schmerzvollen Erinnerung und – vielleicht? – die Rückkehr ins Leben ermöglicht.

Übrigens: Der Zeitgeist, der durch Korngolds Oper weht, manifestiert sich auch in einer bemerkenswerten Koinzidenz: 1920, im Jahr der Uraufführung, veröffentlichte Sigmund Freud seine Schrift «Jenseits der Lust», in dem er das dualistische Prinzip von Eros und Thanatos, Lebenstrieb versus Todessehnsucht postuliert – eine verblüffend kongruente Deutung des Opernstoffs! Und sollte der Fokus auf den Aspekt des Mystery-Thrillers und Korngolds filmisch geprägten Soundtrack gelegt werden: Auch Robert Wienes «Das Cabinet des Dr. Caligari», Auftakt zum neuen Genre des Horrorfilms, flimmerte im selben Jahr erstmals über die Leinwand. Schließlich: Der positive Schluss ließe sich auch lesen als Ausdruck eines allgemeinen Bedürfnisses für einen Neuanfang nach den zerstörerischen Kriegsjahren.

 

Mit diesen Vorgaben kann Regisseur Tcherniakov wenig anfangen, und er formuliert das auch ziemlich flapsig im Programmheft: «Der Roman [...] ist nicht unbedingt ein Meisterwerk.» Unglaubwürdig scheint ihm sodann, «dass Paul plötzlich eine Frau trifft, die aussieht wie seine verstorbene Ehefrau [...] das hat ein bisschen was von Groschenroman». Und mit Hinweis auf Alfred Hitchcocks «Vertigo» sagt er: «Außerdem scheint mir, dass diese Geschichte von der Doppelgängerin oder Wiedergängerin [...] schon zur Genüge durchdekliniert wurde.» – Ob das tatsächlich ein Argument ist?

Geschlechterkampf

Tcherniakov interessiert sich für die inneren Abgründe, das seelische «Kellerloch» seiner Figuren und weniger für deren äußeres Umfeld, nicht für den enigmatisch-symbolistischen Schleier, sodern für die freudsche Triebanlyse. Für den russischen Regisseur ist Paul ein Mann, befangen in seinen Hardcore-Männerfantasien, der weniger um den Verlust der Liebe, der Geliebten trauert als vielmehr um den Wegfall des Objekts zur Befriedigung seiner despotischen Lust. Ein Psychopath mit Wiederholungszwang? Ein labiler Triebtäter, ein Serienmörder gar? Eine steile These, gewiss, aber durchaus ein spannender, ungewöhnlicher Zugang, zwar konsequent durchgezogen, mitunter aber doch etwas gesucht, oftmals sogar unbefriedigend und nicht selten im Widerspruch zur Handlung und zur genialen Musik. 

Marietta und Marietta und Marietta mit Bildnis der Marie †


So nimmt man, an vielerlei Exzesse des Regietheaters gewohnt, (achselzuckend) in Kauf, dass Marietta nicht als eine Person, geschweige denn als Doppelgängerin Maries auftritt, sondern als drei unterschiedliche Frauen: Als Göre mit punkig-blondierter Strubelfrisur, weißem T-Shirt, Leggings und ausgefransten Shorts (die Kostüme, mehrheitlich in einer dumpfen Farbskala zwischen Weiss und Schwarz, entwarf Elena Zaytseva). Dann als Diva mit tizianrotem Haar und wallendem Mantel, offenbar der Star einer Theatertruppe auf Rollschuhen. Und zum Schluss als selbstbewusstes Alpha-Girl mit Kurzhaarschnitt, sexy und burschikos. Mit strahlkräftigem, höhensicherem Sopran und schillernder Bühnenpräsenz verleiht Vida Miknevičiūté jeder der drei Mariettas individuelles Profil zwischen aufmüpfig und erotisch und kämpferisch. Ihr mitunter herbes Stimmtimbre wechselt virtuos zwischen den unterschiedlichen Charakteren – dass Paul sie jedoch auch nur ansatzweise mit seiner toten Gattin, die offenbar die Sanftheit und Grazie in Person war, in Verbindung hätte bringen können, ist beispielsweise eine der Ungereimtheiten, die uns die Regie zumutet. Auch sein letzter Aufschrei nach dem nicht nur geträumten, sondern realen Femizid – «Jetzt gleicht sie ihr [d.h. der toten Marie] ganz» – bleibt schiere Behauptung.

 

Eric Cutler mit seinem dunkel timbrierten, kraftvollen Tenor ist eine ideale Verkörperung Pauls. Aus scheinbar unbegrenzten vokalen Ressourcen schöpfend, überzeugt er mit einer Vielzahl von nuancierten Gefühlfacetten, mal aggressiv-herrisch, mal flehend-resigniert, mal bedrohlich-gewalttätig. Und scheint sich vom allzu negativen Rollenprofil, das die Regie vorgibt, nicht eingrenzen zu lassen. Cutler meistert die extrem hohe Tessitur der herausfordernden Partie mit bezwingender Intensität an stimmlichem Ausdruck, aber auch darstellerischer Prägnanz, wenn er, die Strickmütze tief ins Gesicht gezogen, sich in seinen übergroßen Mantel wie in einen Schutzpanzer hüllt. Oder sich zur Prozession, die, fürs Publikum nicht sichtbar, an seinem Fenster vorbeizieht, als Bischof in Soutane und Mitra kleidet – was von Marietta prompt als Bigotterie verspottet wird, während sie ihrerseits, ganz Kind des Hier und Jetzt, sich am Fenster mit dem Handy für ihren nächsten Instagram-Post in Szene setzt. Mit dem Bildnis der Verstorbenen. Und noch dazu rauchend!

Glücklicherweise verblasst das szenische Regiekonzept immer wieder hinter der grandiosen Leistung der beiden Protagonisten wie überhaupt des gesamten Ensembles. Denn auch die kleineren Rollen sind glänzend besetzt.

 

Evelyn Herlitzius profiliert sich als Haushälterin Brigitta, die mit machtvollem, warmem Mezzosopran ihrem Herrn ins Gewissen redet. Björn Bürger in der Doppelrolle als Frank, Pauls Freund, und als Fritz, die schillernde Pierrot-Figur der Schaupieler-Clique, macht dank seinem noblen Bariton aus dem zweiten Hit der Oper, dem schwermütigen Arioso «Mein Sehnen, mein Wähnen», einen Gänsehautmoment. Er erweist sich nicht nur als wendiger Jogger, sondern bewegt sich auf den Inline-Skates einigermaßen gekonnt, im Gegensatz zu seinen Gauklerkollegen, die eher unsicher unterwegs sind. Mit dieser buchstäblich «fahrenden» Schauspieltruppe dem düsteren Geschehen eine komödiantische, heiter-beschwingte Note verleihen zu wollen, ist nicht der glücklichste aller Regieeinfälle. Peinlich wird es, wenn in der letzten Szene die tote Marie im roten Kleid aus dem ersten Bild ihre wackeligen Runden auf der leeren, kreisenden Bühne dreht: ein schiefes Bild für die flüchtige, spukhafte Erscheinung aus einer anderen Welt. Die hoffnungsvolle Schlussszene des Originals kippt etwas unmotiviert in bittere Resignation...

Dagegen ist die Verlegung der Prozession ins Off und der Verzicht auf bombastisches Schaugepränge um vieles gelungener, zumal der mit Kindern und Jugendlichen verstärkte Zusatzchor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) für klangmagische Wirkung sorgt.

 

Unter dem Dirigat von Lorenzo Viotti («Lorenzo il Magnifico», als den man ihn auf Social-Media apostophiert, wo er sich ausgiebigst zelebriert) musiziert die opulent besetzte Philharmonia Zürich mit geschärftem Sinn für nuancierten Klangrausch und geradezu synergetische Farbenpracht. Selbst wenn sich die Lautstärke, zumal am Anfang, eher an der oberen Grenze bewegt, kommt es im Verlauf des Abends zu zunehmend ausgewogener Balance und subtilerem Ausloten der überaus raffiniert instrumentierten Partitur. Das emotionale Klangspektrum reicht von verführerischer Süße bis zu martialischer Härte, von sentimentalem Wohlklang bis zur narkotisierenden Wucht, vom spätromantischen Überschwang bis zum dissonanten Aufruhr.

Das ist Musikdrama pur! Musikdrama, das die Ungereimtheiten einer doch ziemlich eigenmächtigen Regie in den Hintergrund treten lässt. Das betroffen und nachdenklich macht. Die benommene Stille, als sich der Schlussvorhang senkt, bis zum Aufbranden des Applauses, ist Ausdruck davon.

Bilder wie aus einem «film noir»

Szenenfotos : © OHZ – Monika Rittershaus


24.04.2024

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Eine bereichernde Lektüre

Ins Deutsche übertragen von F. Oppeln-Bronikowski Holzinger, Berlin 2016 ISBN:  978-3-86199-845-7


5 comentarios


Invitado
27 abr

Einmal mehr ist es lehrreich, genussvoll nachvollziehbar und Freude machend, deine Berichte und Rezensionen zu lesen. Danke!

Ich fand die gestrige Aufführung, was die Stimmen und das Orchester anbelangt, uneingeschränkt grossartig. Was mich irritierte, war das Bühnengeschehen. Das Bühnenbild per se grossartig (dieses auch auf eine Hebebühne, dh „zweigeschossig“ zu platzieren, damit anderes Geschehen vieldeutig darunter stattfinden konnte) und von der Idee her genial. Unverständlich für mich das weit zurück versetzte Bühnenbild. Zb Cutler/Paul‘s (ansonsten grossartige) Stimme reichte nicht genügend bis in den Zuschauerraum. Ich hatte Erinnerungsassoziationen an Verona/Arles etc, wo Orchestermusik und Bühnengesang (physisch nachvoll- und akzeptierbar) etwas zeitverschoben beim Hörer ankommen. Ganz anders war es, wenn das Geschehen sich gegen die Rampe verschob. Da war die Einheit von…

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Invitado
27 abr

Was für eine interessante Kritik, vor allem auch mit den historischen Anreicherungen.

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Invitado
27 abr

Danke für Deine Rauchszeichen. Ich staune über Dein literarisches Können, die Sprache, verdichtet mit viel Informationen und Beobachtungen, und Rückblenden zum historischen Kontext. Ganz toll!

M. S.

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Invitado
27 abr

Deine Rezension ist wunderbar, macht Mut, trotz des grässlichen Inhalts, den Besuch zu wagen.

B. R.

Editado
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Invitado
27 abr

Danke vielmals für diesen umwerfend brillanten Text. Sowas von lohnender Lektüre!

G. J.

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