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Das Ringen um den Ring

Man kann es im MAG und im Programmheft nachlesen. Man konnte es an der Einführungsveranstaltung hören: Er hatte und habe bis heute einen eher naiven als intellektuelle Zugang zu Richard Wagners «Ring des Nibelungen», sagt Andreas Homoki, der die Tetralogie in den kommenden zwei Spielzeiten vor seinem Weggang aus Zürich auf die Bühne stemmen wird und jetzt mit dem Vorabend, dem «Rheingold», startet. Dementsprechend, so führt er weiter aus, wolle er das vielschichtige Werk nicht deuten, sondern zeigen, anschaulich machen; mögliche Deutungen jedoch den Zuschauern überlassen.

Mögliche Deutungsansätze – politische, soziologische, psychologische – gibt es tatsächlich zuhauf, darunter überzeugende wie auch ungewohnte oder krampfhaft konstruierte. Ihm, Homoki, dagegen gehe es um die theatralisch-dramatischen Vorgänge, um die Beziehung zwischen den Individuen mit ihren Impulsen, Emotionen und Befindlichkeiten. Also nicht um den gesellschaftskritischen Diskurs einer bestimmten Epoche oder Gesellschaftsschicht. Sein Interesse zielt vielmehr auf eine universale Sicht zur Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Heisst: Auf deren Weg vom genuinen Urzustand bis hin zur Entfremdung von der Natur und vom eigenen Selbst. Und auf das ewig aktuelle Streben nach Macht, Reichtum und Liebe und das Scheitern daran. Fokussiert wird somit – trotz symbolträchtiger Überhöhung und/oder mythologischer Unterfütterung – auf die genretypischen Merkmale eines Konversationsstücks. So ist es nicht von ungefähr, dass in dieser Zürcher Produktion dem Wort, dem Dialog grosse Bedeutung zukommt, zu welcher auch die stabreimenden Konsonantenballungen ein nicht unwichtiges Element beitragen, was wiederum in heutigen Ohren oft absonderlich, mitunter gar parodistisch klingt. Jedenfalls wird allfällig aufkommendes Pathos durch Ironie gebrochen; die hehren Götter erscheinen nur allzu menschlich, was uns Heutigen den Zugang enorm erleichtert. Homokis Lesart begünstigt dies durch eine schlanke, fast ein wenig unterkühlte – soll man sagen typisch zürcherische? – szenische Umsetzung.

Hierzu hat Christian Schmidt, der auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, ein funktionales Bühnenbild entworfen: Auf der Drehbühne errichtet er drei identische Raumsektoren, wandhohe weisse Täfelung, im Zentrum ein Fenster ins schwarze Nichts, links und rechts Verbindungstüren, welche in identische Zimmer führen. Auf diese Weise entsteht durch die stete Drehung eine Zimmerflucht, wie sie das bürgerliche «Schöner Wohnen» des 19. Jahrhunderts auszeichnete.


Das ist nicht sensationell neu, aber es unterstreicht den Fluss des Geschehens. Und es ermöglicht einen raschen Szenenwechsel – Rheintiefen ebenso wie Bergeshöhen und unterirdische Kluft von Nibelheim, alles mehr behauptet denn real gezeigt. Und zwar mittels Räumen, wie sie auch in klassizistischen Wohnhäusern, beispielsweise den sogenannten Escher-Häusern am Zeltweg im Zürcher Hottinger Quartier, zu finden sind. Erbaut wurden diese in den späten 1830er-Jahren als erste Mietshäuser der Stadt von Leonhard Zeugheer, der unter anderem kurz darauf auch die Villa Wesendonck, heute das Museum Rietberg, entwarf. Am Zeltweg, ab 1849 erst in der hinteren Häuserzeile, dann, zwischen 1851 und 1857, im langgestreckten repräsentativen Hauptgebäude wohnte Richard Wagner, bis ihm das Domizil wegen der «vielen Claviere» in der Nachbarschaft, vor allem aber durch das Hämmern des Schmieds (Inspiration für das Amboss-Gedröhn im «Rheingold»?) gegenüber der Strasse «unleidlich» wurde und er mit Gattin Minna und Hund Peps endlich in das Riegelhaus «Asyl» im Park der wesendonckschen Villa auf der anderen Seeseite übersiedeln konnte. Mit den bekannten Folgen – doch damit wären wir bereits beim «Tristan»... Vorerst aber am Zeltweg, im Haus Nr. 11 und später 13, konzipierte und komponierte er grosse Teile seines Opus magnum.

Escher-Häuser am Zeltweg (@ Bild paeti)

Ausstattung und Kostüme schaffen ebenfalls eine Verbindung zu Wagner und seiner Zeit. Dunkles, wuchtiges Mobiliar, Zimmerpalmen, Lederfauteuils evozieren die Gründerzeit. Wotan tritt anfänglich im rotsamtenen Hausrock auf, wie ihn der Komponist gemäss eigener Beschreibung oft getragen haben soll; später wechselt er zum zeittypischen schwarzen Gehrock, die übliche Klappe über dem einen Auge hat er nicht, dafür aber den langen Runenspeer. Tomasz Konieczny gibt einen stimmgewaltigen und doch differenzierten Wotan, einen selbstsicheren Machtmenschen, dessen grandseigneurale Attitüde bereits feine Haarrisse zeigt, besonders im Gespräch mit Erda (Anna Danik), die stimmlich wie optisch doch eher an eine zarte Erbsenprinzessin als an die weise Erdmutter erinnert.


Gattin Fricka, in eleganter Robe aus grün schillernder Seide, ist eine leicht säuerliche Matrone, hochgeschlossen und streng; man würde sich nicht wundern, wenn sie ständig über Migräne klagte. Patricia Bardon gestaltet ein interessantes Frauenbild zwischen Ohnmacht und Anspruch. Die leicht angespannte Beziehung der beiden Eheleute auf der Bühne scheint ja auch das Verhältnis der Wagners in diesen Jahren geprägt zu haben. «Ehr’ ich die Frauen doch mehr als dich freut.», lässt der Dichter-Komponist den Göttervater singen, und das dürfte den Szenen einer Ehe des Paars ziemlich exakt entsprochen haben.

Vorerst aber gründeln wir noch in des Rheines Tiefen. Aus dem mystischen Es-Dur-Gebrumm der Kontrabässe baut sich über Fagott und weitere Instrumente sukzessive das machtvolle Crescendo auf, das schliesslich ins Rheingold-Motiv mündet. Gianandrea Noseda, der nach eigener Aussage das Amt des GMD nicht zuletzt dank der Aussicht auf den «Ring» übernommen hat, präsentiert zusammen mit der glänzend disponierten Philharmonia Zürich eine äusserst nuancenreiche Interpretation. Mächtige Klangwogen und sprechende Piani in wohl austarierter Balance sind die Merkmale seines umsichtigen Dirigats. Die dem Haus klug angepasste Dynamik garantiert allzeit eine hohe Sprachverständlichkeit. Vielleicht ist es gerade Nosedas Italianità zu verdanken, dass dieser Wagner im besten Sinne unprätentiös, frei von Pathos und Bombast erklingt.


Panta (d)rhei

Langsam hebt sich der schwarze Prospekt, doch auf der Bühne, wie gesagt, erblicken wir nicht Riffe noch Klüfte im Flussbett, sondern eben die stetig rotierende weisse Zimmerflucht: panta (d)rhei – alles dreht sich, könnte man kalauern. Hinzu kommt auch ein optischer Kalauer: Statt Flussbett steht da in jedem Raum ein breites, ebenfalls weisses Bett. Schon erscheinen die Rheintöchter als dreifacher Marilyn-Klon in weissen Seidenpyjamas und aschblonden Perücken, statt paddelnd durch rheinische Fluten, huschend und sich haschend von Raum zu Raum. Und erstaunlich: Das «Wagalaweia» funktioniert auch ohne wogende Wellen, zumal die drei Damen Uliana Alexyuk, Niamh O’Sullivan und Siena Licht Miller ein stimmlich wie darstellerisch bezauberndes Trio bilden.


Wie gut die Szenerie funktioniert, zeigt auch der Auftritt Alberichs, der aus dem Schwarz des Fenstergevierts in dieses heitere Spiel einbricht. Christopher Purves gelingt ein fabelhafter Schwarzalb: Gnomenhaft, widerwärtig, brutal schafft er es, gleichzeitig fast ein wenig Mitleid zu erregen, wenn ihm die frivolen Rheinmädel übel mitspielen oder, später, als er sich, gedemütigt und des Rings beraubt, am Boden windet, um alsbald zum unheilvollen Fluch auszuholen. Als nicht deutschsprachig hat der englische Bariton ein wenig Mühe mit den vertrackten Lautgebilden, aber gerade dadurch gelingt ihm eine interessante Facette als Ausgestossener. Und schliesslich entspricht dem schillernden Charakter auch eine beachtliche vokale Ausdruckspalette.

Ein bisschen Zirkus, ein bisschen Variété

Wenn sich Alberich dank des Tarnhelms in einen Lindwurm verwandelt, verzichtet die Regie auf «übernatürliche» Effekte: Alberich verschwindet ganz einfach in einem grossen Schrank, und alsogleich ringelt sich ein grauser Drachenschwanz durch die offene Salontüre und im Schrank erscheint ein dampfspeiender Drachenkopf – das ist Kasperltheater, ist Zirkus, ist ein bisschen Variété, vergnüglich und verspielt. Genauso wie die hopsende Kröte, die als zweiter fataler Verwandlungstrick uns zum Schmunzeln anregt, dem Nibelungen aber zum Verhängnis wird. Darstellerisch gut gelöst ist auch jene Szene, da sich Alberich – unsichtbar und mit der Peitsche knallend – seinen Bruder Mime zum gefügigen Sklaven macht, der ihm Ring und Tarnhelm schmieden soll: Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Tenor von Bayreuths Gnaden, macht aus seinem kleinen Auftritt ein packendes Spektakel. Und wenn schliesslich das Heer der Nibelungen, gesichtslose schwarze Wesen, auf der Bühne wuseln und werkeln, wenn sie die geschürften Goldnuggets schleppen und schichten, ergeben sich pfiffige Bilder von geradezu comic-haftem Witz!


Lustvolle Theatralik bezeugen auch die beiden saloppen Götter Donner (Jordan Shanahan) und Froh (Omer Kobiljak), die wichtigtuerisch mit Ihren Kricketschlägern herumfuchteln. Gestreifte Jackets, weisse Cannotiers und Schuhe vervollständigen das Bild zweier nicht ganz ernstzunehmender Dandys, doch stimmlich überzeugen sie sehr wohl.

Da sind die Riesen Fasolt (David Soar) und Fafner (Oleg Davydov) stimmlich und von der Erscheinung her schon bedrohlicher, wenngleich auch sie nicht ganz ironiefrei gezeichnet sind. Hoch oben auf dem Gemälde, das ihr Werk, die Burg Walhall, darstellt, thronen die beiden, zwei Waldschrate mit Rauschebärten, breitkrempigem Filz und grobem Schuhwerk. Wenn sie dann schliesslich herabsteigen und die Bühne betreten, indem sie mit roher Gewalt durch die Leinwand preschen, ist das nicht nur ein effektvoller Moment, es lässt auch bereits den Niedergang der Götterburg und ihrer Bewohner erahnen. Vorerst aber fordern sie den Lohn für die geleistete Bauarbeit: Die holde Freia, der Kiandra Howarth Silberstimme und anmutige Gestalt verleiht.

Matthias Klink als zwielichtiger, mit allen Wassern gewaschener Feuergott Loge präsentiert sich barfuss mit rotem Mantel und Zylinder und kann sich ab und zu einen pyromanischen Taschenspielertrick nicht verkneifen. Merkur und Mephisto in einer Person, beherrscht er die Szene nicht nur als überaus wendiger Drahtzieher, sondern auch als gut fokussierter, facettenreicher Tenor. Er ist es denn auch, der das Klagen der beraubten Rheintöchter zum Verstummen bringt, derweil sich die Türen des gigantischen Schranks zu gleissender Helle auftun. Die göttliche Sippe jedoch schreitet, nein, nicht über eine Regenbogenbrücke nach Walhall, sondern einfach ins nächste Zimmer, wo alle an einem überlangen, goldenen Tisch Platz nehmen – eher missmutig, mit versteinerten Mienen, ratlos... Was wird da noch auf sie, auf uns zukommen?

Bilder: © OHZ – Monika Rittershaus



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